7029009-1989_22_16.jpg
Digital In Arbeit

Mein Pappkamerad

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Pappkamerad ist ein nützlicher Zeitgenosse. Er ist preiswert in der Anschaffxmg und billig im Betrieb, genügsam, was Zuwendung betrifft, vmd bescheiden, was Entlohnimg angeht. Man kann ihn ohne Komplikationen nutzen, er ist stets gebrauchsfertig und bedarf auch kaum der Wartung. Er ist also just so, wie sich Ehepartner ihre Ehepartner, Eltern ihre Kinder und

Kinder ihre Eltern, Politiker ihr Volk und Bürger ihre Herrschaft wünschen.

Dennoch hat es ein Pappkamerad nicht leicht: Er wird beschossen und beworfen, beschimpft undbeleidigt, und wenn es ganz schlimm kommt, wird er sogar - wie dies mein Neffe Erik auszudrücken pflegt - "plattgemacht". Aber was ihm auch immer passiert, der Pappkamerad erduldet’s geräuschlos, ohne Widerrede und ohne Widerspruch. Zum nächsten Kadi zu laufen, käme ihm gar nicht in den Siim.

Was wunder, wenn er der praktischen Psychohygieniker Hebstes Kind geworden ist. Kaum etwas, pardon, kaum jemand, ist so gut geeignet, das Aggressionspotential, das sich in Menschen jedweden Geschlechts bekanntlich immer wieder gewitterähnlich aufbaut, ohne Schaden an Tier und Pflanze, Möbel und Bekleidung abzubauen. Woher ‘kommt dieses’ psychotherapeutische Wunderding? Es kommt, Gott, Freud und Jung sei’s geklagt, vom Vater vieler Dinge. "Pappkameraden" nennt der männ-

liche und in manchen fortschrittlichen Staaten der Welt auch der weibliche Landser die GebUde aus billigem Holz und wohlfeiler Pappe (!), mit deren Hilfe er seine aggressiven Übungen abhalten kann. Pappkameraden haben meist Pfähle unter ihren Füßen, mit denen man ihnen im brüchigen Gelände einen ordent-Hchen Stand verpassen kann, ohne daß sie allzu standfest werden.

Neben aller Technik hat der Pappkamerad aber auch ein "Prinzip", und dieses Prinzip ist es, was die eigentliche Wirksamkeit ausmacht: Man muß den Pappkameraden "aufstellen"! Er selbst würde sich mit einer bescheidenen, ja demütig liegenden Haltung begnügen. Aber das reicht nicht. Man braucht den "aufgestellten" Pappkameraden, auf daß man ihn mit Wut, Eifer und Hurra - mein Neffe Erik würde sagen

- "umnieten" kann. Hat man dies geschafft, fühlt man sich aUsogleich erleichtert, ja erfolgreich und hat natürUch flugs vergessen, daß sich kein böser Feind vor einem aufgebaut hat, sondem daß man es ja selbst war, der sich den Pappkameraden in den Weg gestellt hat.

Sie haben es längst erkannt: Pappkameraden gibt es nicht nur auf militärischen Übungsplätzen. Ihre Anwesenheit ist auch keineswegs bloß auf paramilitärische, das heißt auf kampfsporthche Trainingsanlagen beschränkt. Pappkameraden sind vielmehr der öffentüchen Dis-kutanten liebste Gefährten, dem nichts braucht ein auf Wirkung bedachter Volksredner mehr, cils ein Subjekt, auf das er seine Aggressionenrichten kann. Wenn es aber keine solchen Subjekte gibt oder diese nicht offenkundig für den beklagten Übelstand zuständig sind oder sich auf andere listige Art der verbalen Verfolgung entziehen, dann muß ein "Objekt" her. Was kann es dann besseres geben als den "Pappkameraden". Den hat man nämlich stets bei sich, der läßt sich vor versammeltem Publikum aufstellen, und der läßt sich auch ohne jede Widerrede niedermachen.

Ich wünsche allen Pappkameraden dieser Erde ein langes, duldsames, menschenfreundliches "Leben", denn es kann den Menschen nichts besseres passieren, als daß sie eines Tages nur noch auf Pappkameraden schießen. Dann sind sie endlich aUe miteinander "Sieger".

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung