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Menschen

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lenmäßig immer größeres Gewicht bekommen („Aufstand der Massen”), sondern nach wie vor auf verschiedensten Wegen von der traditionellen Gehirnwäsche militanter Initiationsriten bis zum modernen Manager einen Männlichkeitsfetischismus züchten, dessen Kausalketten seit Jahrtausenden in dieselbe naturausbeutende, unökologische Richtung ziehen, wo uns die wachsenden Wüsten in Nordafrika über Oman bis China erwarten.

Es kann aber kein Zweifel bestehen, daß in der Disproportio-nierung der Gewichtung männlicher und weiblicher Veranlagungspotentiale die Ursache zu suchen ist, weshalb der Mensch -durch die Evolution weitgehend an die natürliche Umwelt angepaßt - an und in seiner selbstgeschaffenen Gemeinschaftswelt völlig versagt. Ein harmonischer Ausgleich von Animus und Ani-ma, von linker und rechter Gehirnhälfte, aber muß es gewesen sein, was Atlantis zum Goldenen Zeitalter Ovids gemacht hat. Es gilt das Androgyne im Geist des Menschen wiederzuerwecken. Für die wohltätige Wirkung der weiblichen Lenkkraft bietet die Archäologie mancherlei Hinweise, vor allem aber spiegelt sie sich in den mythischen Vorstellungen.

Nicht ohne einigen Zynismus, aber auch mit Humor führt uns Lore Toman durch die Himmel der letzten sieben Jahrtausende, wobei es selbstverständlich zu

Umschuldungen und Umschulungen kommt, wenn die weiblichen Göttinen ihre Positionen an die männlichen Usurpatoren abzutreten haben.

Das Überlogische dieser Re-trachtungsweise liegt darin, daß man ganz im Sinne von Voltaire bis Nestroy die „Götterfabrik” als einen verstaatlichten Betrieb ansieht, der sich nach dem Glaubensbedarf des Marktes richtet, andererseits dann aber diesen Produkten menschlicher Phantasie plötzlich Mehrwert bei der Weltlenkung zutraut und zubilligt. Man könnte also, ein lateinisches Sprichwort variierend, sagen: Magst du auch den Glauben mit der Mistgabel verjagen, er kehrt ja doch immer wieder im Heiligenschein zurück.

Nur dem Kunstwerk gegenüber bewahrt Lore Toman eine männlich tolstoianische Strenge, wenn es heißt, ein Kunstwerk, dieser Stolz der Männer „sei nicht lebendiger als ein Türnagel”. Mag es auch unangemessen sein, von der Unsterblichkeit eines Kunstwerkes zu reden, so steht doch empirisch fest, daß Mozarts Königin der Nacht, diese ästhetische Fiktion zweier Koloraturarien mit ihrer 200jährigen mitreißenden Lebendigkeit, von keinem Homi-niden jemals erreicht wird.

Aber wir haben Lore Tomans harten Hammer auf den Türnagel oder auf unsere Männerschädel reichlichst verdient. So werden wir uns vielleicht zur Wehr setzen, um mit umgebundener Schürze wie unsere amerikanischen Vorbilder in die Küche zu eilen, vielleicht werden wir aber auch unsere eigene Anima so fördern, daß wir wieder erreichen, womit ein Euripides, ein Flaubert bis heute bezwingt: „Madame Bo-vary - c'est moi!” Vielleicht dürfen wir auch auf unsere rechte Gehirnhälfte hinweisen, die ja nicht bloß eine leere Lade für unsere Zinnsoldaten zur Verfügung stellt, sondern auch für Visionen eines Atlantis, das wir mit Lore Toman teilen können.

ATLANTIS IN UNS

Eine Spurensuche. Von Lore Toman Edition S, Wien 199i 270 Seiten, öS 298,-.

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