6863093-1977_44_13.jpg
Digital In Arbeit

Nephelokokkygia

Werbung
Werbung
Werbung

Jahr für Jahr vollzieht sich am Wiener Beethovenplatz ein kleines Wunder: Schüler und Absolventen des Akademischen Gymnasiums spielen, teils übersetzt, teils in der Originalsprache, ein Drama der griechischen Antike. Heuer waren es die „Vögel” des Aristophanes, die Geschichte von der Nephelokokkygia, dem Wölkenkuckucksheim, in das sich der athenische Schwadroneur Peithetairos (eine unglaubliche Leistung des jungen Michael Kutschera!) hineinsteigert. Völlig richtig war da die Hohn- und Spottkomödie des Aristophanes als antike Ausstattungsrevue durchschaut und inszeniert. Mit einem Laufsteg nach Pariser Vorbild für die Parade der (selbstgeschaffenen) großartigen und witzigen Kostüme; mit durchgehender (selbstgeschaffener) Choreographie, die den Kleinen und den Halbwüchsigen keinen „toten Augenblick” erlaubt; mit (selbstgeschaffener) Musik zu den ariosen Monologen, zu den Sprechchören, die mit jeder Silbe verständlich bleiben und deren unübersetzbare Teile auf dem wundervollen griechischen Rhythmus des Originals ausschwingen; mit knatternden Dialogen und völlig ungezwungenem Sprechgesang; mit einer Rasanz der Auftritte, die sehr große Bühnen vor Neid erblassen lassen sollte; mit karikaturistischen Blackouts, wie sie sich seit Jahrtausenden am Ende jeder guten Revue häufen müssen; mit einer Publikumsbeschimpfung im Stile des Aristophanes und nicht im Stile des nachgeborenen und gelangweilten Handke, in deren Verlauf die Kritiker sich zum Gaudium der Halbwüchsigen sagen lassen dürfen, was die Vögel demnächst auf ihre Köpfe herab tun werden; mit der dionysisch „heiligen Hochzeit” als großes Opemfinale zum Abschluß, wobei der Hauptdarsteller, dem Regisseur zum Trotz, seine Maturantiv^Part- nerin tatsächlich küßt, was ihm, nur von den vordersten Reihen bemerkt, die halblaute Bemerkung ,ßiest” einträgt. Prof. Dr. Wolfgang Wolfring hat dieses Zauberwerk inszeniert, aber ohne den Enthusiasmus seiner Schüler wäre der Höllenspaß ins Bodenlose gefallen. Er fiel nicht.

Fazit eins: von einer begabten Minderheit kann man, entgegen allen Gleichschaltungs- und Verpiat- tungstendenzen, das Äußerste verlangen. Und wird nicht enttäuscht werden.

Fazit zwei: welch ein kultureller Absturz von Aristophanes bis zum amerikanischen Musical!

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung