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Nicht nur Monster

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Die dreißiger Jahre sind von einer Gezeitenwelle der Mode an unseren Strand gespült worden und überborden nun seit Jahr und Tag auch die Bildschirme.

Zum filmischen Inventar der dreißiger Jahre gehörte Boris Karloff, ein Schauspieler, der es fertigbrachte, dem überaus absurden Frankenstein-Monster, einem aus Leichenteilen zusammengenähten und mit elektrischen Strömen „belebten“ Wesen, Gestalt zu leihen und den Welterfolg zu sichern. Der Mißbrauch des Namens einer nicht gerade unbekannten Familie durch die Autoren war und ist nichtsdestoweniger eine Unverschämtheit. Sir George Frankenstein war immerhin jener österreichische Botschafter in London, der im März des Jahres 1938 gemeinsam. mit Dr. Otto Habsburg gegen Hitlers Überfall auf Österreich protestierte und sich weigerte, einer anderen Regierung zu dienen als einer österreichischen.

Für die von geringen Kenntnissen belastete amerikanische Öffentlichkeit war das Monster allerdings eine Offenbarung. Jeder Durchschnittsamerikaner ist jederzeit und im Tiefsten des Herzens gewärtig, daß Untermenschen von jenseits der Meere oder kleine grüne Männchen vom Mars unversehens in Gottes eigenem Land die Macht ergreifen und die Demokratie abschaffen könnten. Auch ferngesteuerte Lemuren wären dazu Imstande.

In Europa reagierte man anders. Hier genoß man es, bei Frankenstein-Karloffs Erscheinen auf der Leinwand gleichzeitig mit den Zähnen klappern und Tränen lachen zu können. Und in Österreich speziell, wo man, laut Statistik, zwar nicht an ein Fortleben der Seele, wohl aber, wie im alten Ägypten, an ein Fortleben der Leichen glaubt, entsprach die gruselige Wiederkehr einer ausnahmsweise nicht „schönen“, sondern „schiachen“ Leich' geradezu dem gesunden Volksempfinden ...

Boris Karloffs persönliche Tragödie war es, daß der Welterfolg ihn ein für allemal auf den stereotypen Schwachsinn der Frankenstein-Rolle fixierte. Immer wieder versuchte er, auszubrechen. Welche schauspielerischen Fähigkeiten in ihm steckten, bewies weniger die österreichische Erstaufführung des 1940 entstandenen „Schwarzen Freitag“ (Black Friday) im Samstagnachtprogramm, als jene schon weiter zurückliegende Aufführung der 1968 entstandenen „Targets“ (Bewegliche Ziele) in der Fernsehserie „Cinema um 9“. Um in „Targets“ endlich sich selbst darstellen zu können, verließ damals Boris Karloff noch einmal, zum letztenmal, den Rollstuhl, an den er seit Jahren gefesselt ist. Jeder Schritt, den das Drehbuch vorschrieb, kostete Qualen und erforderte jene Selbstbeherrschung, die schauspielerisches Können auf geheimnisvolle Weise zu steigern vermag. Höhepunkt: der Zusammenbruch eines jugendlichen Amokschützen angesichts des Auf einander-Zuschreitens eines realen Karloff und seines Abbildes auf der Leinwand. Anderer Höhepunkt: Karloffs ironisches Erschrecken vor seinem eigenen Spiegelbild. Dritter Höhepunkt: die gestikulierende Selbstpersiflage des geschäftstüchtigen, sich selbst darstellenden Karloff-Regisseurs Bogdanovich, der Angstträume inszenieren möchte und nicht die Schrecknisse unserer degenerierten Industriegesellschaft. Kein Zweifel: Boris Karloff war ein großer Schauspieler, kein Monster.

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