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Nie genug Kultur

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Zum zweitenmal wagte das Landesstudio Niederösterreich des ORF, unterstützt von Landesregierung und Stadtgemeinde, den „Kulturbasar Tulln”. Man sollte abschließend nicht das eigene, ach so wichtige „kritische Denken” unter Beweis stellen, indem man an Einzelheiten herumnörgelt - vielmehr dankbar sein, daß es dergleichen überhaupt gibt. Entgegen einer Legende, die in den harten Tagen der österreichischen Selbstftndung durchaus legitim war, ist unsere Heimat nämlich kein Kulturland, sondern kulturelle ödnis. Gewiß, da gibt es, über allen Gipfeln schwebend, eine hauchdünne esoterische Schicht von Kennern, die das Gras besser wachsen hören und einen weiteren Horizont besitzen als irgendeiner sonst im Westen, vom Osten ganz zu schweigen. Darunter gibt es dann die etwas breitere Schicht jener Wiener, die sich für Kulturträger halten, weil sie Sonntag für Sonntag um elf Uhr die Fünfte von Beethoven hören wollen und schon bei Strawinsky oder Ravel unter Protest den Saal verlassen. Und noch tiefer gibt es die Braven, denen Bauern- und Operettenmusik Geistiges vermittelt - und auch sie schweben noch in jenen Höhen, die von den 90 Prozent, auf die es ankommt, nie erreicht werden.

Deshalb ist das „Unternehmen Tulln” in seinem Wert kaum abzuschätzen. Mit sportlichen Wettbewerben wurden da wieder Banausen in die Nähe wenigstens der Märchenerzählerstraße gelockt. Mit kulinarischen Genüssen in die Nähe der Traglufthalle mit ihrer Ausstellung „Geometrica 77”, in der sie kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen mußten, daß es abstrakte und konstruktivistische Kunst überhaupt gibt. Technische Kindereien lockten Eltern mit ihren Halbwüchsigen in jenes Zelt, in dem man aus Kopfhörerempfängern Saint-Exu- pėrys iyKleinen Prinzen”-, den denkbar besten deutschsprachigen Aufführung zu hören bekam. Und was bedarf es noch vieler Worte, wenn man in der Holzhalle Turniere, direktübertragen, miterleben durfte, Turniere etwa zwischen einem Hans Weigel und einer Barbara Frischmuth oder zwischen einem Erich Kunz und einem Peter Minich! „Kritisch denken” kann jeder. Danken aber kann nur, wer um (seine) Kultur bemüht ist.

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