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Nieder mit dem Zeitwort!

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Dem Zeitwort ist der Zeitgeist nicht wohlgesonnen; insbesondere die journalistische Verkörperung dieses (Un-) Geisteszustandes in einschlägigen Magazinen hat dem Zeitwort Vernichtung geschworen. Die Waffe, mit der dem Ver-bum die letzten Zuckungen abgekürzt werden sollen, ist der Schlagwortstil. Die dichte Aufeinanderfolge solcher

Schläge läßt dem Leser keinen Spielraum mehr zu allfälligen Zweifeln an der Treffsicherheit dieser Anschläge auf seinen Geist.

Der zeitliche Wandel, dem alle Worthülsen unterworfen sind, wird durch die Eliminierung des. Zeitwortes verschleiert. Die Schlagzeile, Inbegriff des journalistischen Kürzels, hat längst das Ver-bum geächtet und als entbehrlich gebrandmarkt. Nur in seiner niedrigsten Form wird es noch geduldet und vegetiert in dem versteinerten Aggregatzustand des Mittelwortes der Vergangenheit dahin: „Steuerreform beschlossen“ oder ,^tinder-jährige monatelang mißbraucht!“

Das Zeitwort als Mittelwort — nicht Fisch noch Fleisch. Seine Funktion als Maß der verrinnenden Zeit hat es damit verloren. Viel angenehmer prickelt doch die scheinbare, zeitlose Absolutheit des Hauptwortes in den Gehirnen der Leser. Die Relativität des Zeitwortes würde da nur einen unerquicklichen Kontrast zum Genuß der Schlagwortreihen bilden.

Wozu die Grammatik oder gar die Consecutio tempo-rum bemühen? Die Schlagworte dringen in die Köpfe wie ein heißes Messer in weiche Butter. Eine Sprache, deren literarische Potenzen im Zeitwort lagen, gehört der Vergangenheit an.

Wie umständlich hat sich noch Goethe im .Jiochzeits-lied“ über einen akustischen Vorgang ausgedrückt, den heute ein schlichtes Onoma-topoietikon wie „ploatsch“ oder „quiiiietsch“ viel kürzer ausdrücken kann: ,J)a pfeift es und geigt es und klinget und klirrt, da ringelt's und schleift es und klirrt, da pis-pert's und knistert's und fi-stert's und schwirrt“ — was für eine Zeitwortverschwendung!

Wir haben heute keine Zeit mehr für das Zeitwort. Seine Zeit ist eben um. Ab sofort ist bei Strafe auf das Prädikat zu verzichten. Denn Prädikat heißt ja auf deutsch nichts anderes als Satzaussage“.

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