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Österreichs wichtigstes Dorf

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Am 10. März wurde durch den Bürgermeister von Badgastein, Ing. Kerschbaumer, das Kongreßzentrum der Öffentlichkeit übergeben. Damit begann ein neuer Abschnitt für Badgastein, für Österreichs wichtigstes Dorf.

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Am 10. März wurde durch den Bürgermeister von Badgastein, Ing. Kerschbaumer, das Kongreßzentrum der Öffentlichkeit übergeben. Damit begann ein neuer Abschnitt für Badgastein, für Österreichs wichtigstes Dorf.

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Badgastein ist. .so merkwürdig dies , klingt, formalrechtlich keine Stadt, nicht einmal ein Markt, sondern nur ein Dorf. Ein Dorf allerdings, das weltberühmt ist und dessen Berühmtheit ständig steigt.

Der eigentliche Aufstieg Badgasteins, dessen Heilquellen allerdings schon seit dem 14. Jahrhundert berühmt waren — seit damals führt es einen Trinkbecher im Wappen —, begann eigentlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie bei vielen anderen europäischen Bädern. Der Besuch hoher Herrschaften, wie Kaiser Franz Josephs und Kaiserin Elisabeths, Kaiser Wilhelms I. und des Fürsten Bismarck, trug viel dazu bei, daß nicht nur. Kranke, sondern auch viele Snobs in Gastein Aufenthalt nahmen. Allerdings mußten im 19. Jahrhundert die Gäste dieses schönen Dorfes dasselbe noch mühsam mit der Postkutsche erreichen. Denn erst 1905 wurde durch Kaiser Franz Joseph persönlich die Tauem-bahn eröffnet, wodurch endlich der Anschluß an das internationale Eisenbahnnetz gegeben war. 1909 erfolgte dann die Vollendung des Haupttunnels zwischen Böckstein und Mallnitz und damit die Betriebsaufnahme des Verkehrs zwischen Badgastein und Spittal an der Drau. Von diesem Augenblick an ergoß sich ein großer Strom von Heilsuchenden in das schöne Dorf. Große Hotels im Stil der Wiener Ringstraße oder des Wiener Jugendstils entstanden rund um den berühmten Wasserfall und gaben Badgastein das typische Gepräge. Aber die Kurgäste besuchten Badgastein eigentlich nur in den Zeiten zwischen Mai und Oktober. In den übrigen Zeiten blieb es dort still. Die wenigen Kurgäste wußten eigentlich auch, warum das Badgasteiner Wasser eine derartige Heilwirkung hatte. Denn auf Grund der Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts zeigte sich das Gasteiner Wasser nur als gewöhnliche, wenn auch sehr heiße Flüssigkeit. Und erst durch die Entdeckung der Madame Curie kam man darauf, daß das Gasteiner Wasser hochgradig Radium enthält, was seine außergewöhnliche Heilkraft erklärt.

Badgastein, das vom Zweiten Weltkrieg völlig verschont blieb, besitzt rund 6000 Betten. Dieses kleine Dorf sieht sich allerdings auch einem ganz besonderen Problem gegenüber: während die Zahl der Gäste ständig steigt, sinkt die Zahl der Einwohner langsam aber sicher. Innerhalb eines Jahrzehnts wanderten 500 Einwohner ab und suchten sich einen Beruf in anderen Teilen der Welt. So hat heute Badgastein nur mehr 5300 Einwohner, während die Zahl der Gäste schon die Millionengrenze erreicht, wobei 600.000 Badgastein in den Sommermonaten und 400.000 in den Wintermonaten besuchen. Da Badgastein rund 6000 Betten besitzt, bedeutet dies, daß Gastein zwei Drittel des Jahres voll besetzt ist.

Diese außerordentliche Leistung konnte nur durch besondere Anstrengung erreicht werden. Vor allen Dingen durch die Umfunktionierung dieses Dorfes aus einem reinen Badeort zu einem Wintersport- und Kongreßort.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Zahl jener, die Badgastein besuchen, um dem Wintersport zu frönen, immer größer geworden. Die idealen Unterbringungsmöglichkeiten, die guten Verkehrsverbindungen und die Tatsache, daß die Bergwelt um Gastein fast immer Schnee hat, selbst zu Zeiten, da andere Orte bereits schneefrei sind und zu guter Letzt die Möglichkeit, die verschiedenen Berggipfel leicht durch Seilbahnen oder Skilifte 7u erreichen, trug wesentlich zu diesem Erfolg bei. Gleichzeitig mit dem Kongreßzentrum wurde im März auch eine neue Sportanlage eröffnet,die den Titel „Sportgastein“ trägt lind neben den Orten „Dorfgastein“, „Hofgastein“ und „Badgastein“ einen neuen Begriff in die Welt setzt.

Viele Wintersportbesucher benutzen aber ihre Anwesenheit in Badgastein, um eine Art von Kur durchzumachen und so ihre rheumatischen Beschwerden etwas zu verringern. Dazu ist ihnen vor allen Dingen auch das schöne Felsenbad behilflich, das vor ungefähr zehn Jahren errichtet wurde und das dank dem heißen Wasser die Mglichkeit gibt, mitten im tiefsten Winter im Freien zu baden.

Aber noch eine andere medizinische Rarität besitzt Badgastein seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges: den berühmten Heilstollen. Badgastein war viele Jahrhunderte lang berühmt nicht nur durch seine Heilwirkungen, sondern auch durch das Gold, das in seiner Nähe gefunden wurde. Mit diesem Gold finanzierten die Herrscher des Landes, die Fürsterzbischöfe von Salzburg, nahezu ihren ganzen Staat. Im 18. Jahrhundert allerdings versiegte diese Goldquelle. Im Zweiten Weltkrieg begannen die NS-Behörden wieder zu schürfen, in der Hoffnung, neuerlich Gold zu finden, um dadurch die knappen Devisenvorräte des Dritten Reiches aufzubessern. Obwohl man Kriegsgefangene und KZler zur Arbeit verwendete und diese somit sehr billig war, lohnte sich der Bergbau nicht und man gab ihn bald wieder auf. Den Oapos fiel allerdings eine merkwürdige Tatsache auf: durch die Arbeit in dem Stollen wurden die Gefangenen immer gesünder, insbesondere verloren sie rasch alle Erkältungen und alle rheumatischen Schmerzen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf diese Erkenntnis zurückgegriffen und nach langwierigen Versuchen unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Scheminksy und seiner Mitarbeiter der Heilstollen zum Gebrauch freigegeben und damit eine ganz neuartige Methode der Heilbehandlung geschaffen. Die Wirkung dieses Heilstollens besteht darin, daß die Duft mit einem Edelgas, dem Radon, durchsetzt ist, das zusammen mit einer außerordentlichen Wärme — bis fast 42 Grad — diese seltsame Heilwirkung hervorruft.

Außer als Kur- und Wintersportort hat sich Badgastein aber immer mehr auch als Stätte für Kongresse durchgesetzt. Auch hier spielen die günstige Verkehrslage und die guten Unterbringungsmöglichkeiten eine Hauptrolle. Dazu kommt, daß Badgastein eine außerordentlich reine Luft besitzt, denn ein Fernheizkraft-

werk versorgt alle Hotels und Häuser mit der notwendigen Wärme, so daß keinerlei Rauch die gute Luft durchsetzt. In absehbarer Zeit wird man auch das Durchfahren des Ortes mit Autos verbieten, so daß auch die Abgase der Autos die Luft nicht mehr verschlechtern werden. Die Bahn selbst ist seit langem elektrifiziert, so daß auch dadurch keinerlei Kohlenstaub die Duft verunreinigt. Durch die Eröffnung des neuen Kongreßzentrums soll internationalen Kongressen die Möglichkeit gegeben werden, ein mit allen technischen Errungenschaften ausgestattetes Gebäude zu benützen, in dem die Veranstaltungen abrollen können. Gleich nach der Eröffnung dieses Kongreßzentrums fand ein internationaler Ärztekongreß statt, der 14 Tage dauerte und an dem rund 3000 Personen aus aller Welt teilnahmen, wodurch allein schon halb Badgastein besetzt war. Viele der Teilnehmer benützten ihre Anwesenheit in Badgastein, um dem Wintersport zu frönen oder auch, um eine Kur zu gebrauchen, und dehnten ihren Aufenthalt sogar noch über die Zeit des Kongresses aus.

820 Millionen Schilling hat Badgastein in den letzten Jahren für Investitionen ausgegeben. Die Einkünfte aus dem Felsenbad wurden verwendet, um das Kongreßzentrum zu bauen. Alles zusammen eine beachtliche Leistung, auf die Österreich stolz sein kann.

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