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Politische Scheinmoral

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Gar viel ist derzeit von „politischer Moral”, vom „Trockenlegen des Sumpfes” und der „Entflechtung von Geschäft und Politik” zu hören. Verdächtig viel. Leider deutet alles darauf hin, daß die Moral-Welle, wie schon die Öko-Welle und anderes mehr, für viele Politiker einzig und allein Mittel zum Zweck der Stimmenmaximierung ist: Die Herrschaften nehmen nicht aus Uberzeugung, sondern aus taktischen Gründen Platz im abfahrenden Zug.

Wie immer, wenn Sein und Schein nebeneinander existieren, passieren da freilich Pannen. Köstlichen Anschauungsunterricht über politische Scheinmoral lieferte dieser Tage

Politische Scheinmoral wieder einmal die „AZ” (auch sonst eine tägliche Quelle unfreiwilligen Humors).

Während auf den Seiten eins bis drei gerade wieder Blecha, Marsch & Co für ein sauberes Österreich und mehr sozialistische Gesinnung auf die publizistische Walstatt sprengten, beruhigt einige Seiten weiter die AZ-Redaktion einen Leserbriefschreiber, der um den Ertrag seiner frei vermieteten Eigentumswohnung fürchtet: Das neue Mietrecht werde selbstverständlich (!) frei vereinbarte Mieten nur bei Zinshäusern, nicht aber bei vermieteten Eigentumswohnungen verbieten.

Mit dem Vermieten von Wohnungen Geld zu verdienen, ist nach dieser merkwürdigen AZ-Moral offenbar nur pfui, wenn die Erträge dem Klassenfeind (= Hausbesitzer) zufließen, nicht aber, wenn auch einige eigene Wähler unter den Nutznießern sein könnten (die ihre mit Steuermitteln geförderte Eigentumswohnung frei vermieten). Frei nach dem Motto: Sozialistische Moral ist, was uns nützt und den anderen schadet!

Aus dem gleichen Grund wird man sich auch darauf verlassen dürfen, daß sich die Diskussion darüber, wie man im Zuge einer umfassenden Steuerreform die auf dem Papier stehenden hohen Steuersätze den tatsächlich gezahlten (in Fachchinesisch: den Grenzsteuersatz dem Durchschnittssteuersatz) stärker annähern könnte, um dem wachsenden Steuerwiderstand entgegenzuwirken, auf den Bereich der Investitionsförderung beschränken wird.

Auf einen anderen Aspekt der staatlichen Scheinmoral wies kürzlich der Innsbrucker Finanzwissenschafter Professor Smekal in einer Diskussion vor dem Management-Club Uber die Grenzen des Steuerstaates hin: Der Staat, so Smekal, könne von seinen Bürgern keine Steuermoral verlangen, wenn er selbst jegliche Besteuerungsmoral vermissen läßt: etwa, indem Steuern rückwirkend eingeführt, das Parlament durch Erlässe umgangen und steuerpolitische Grundsätze eklatant verletzt werden.

Spitzenbeispiel für die doppelbödige Staatsmoral: Dort, wo er davon profitiert, nämlich bei der Einkommensteuer, ignoriert der Staat die Inflation. Dort, wo sie ihn trifft, bei den Beiträgen zur Sozialversicherung, valorisiert er die Bemessungsgrundlage.

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