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Psychotherapie und Beichte

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Während heute die Wartezimmer der Psychiater voll sind, suchen immer weniger

Menschen den Beichtstuhl auf. Die starke Diesseitsorientierung und das Aufkommen der

Psychotherapie, ließ die Leute vom Seelsorger zum Seelenarzt abwan- dem. Auf akademischer Ebene jedoch nähern sich heute Medizin und Theologie.

Viktor Frankl spricht vom „Unbewußten Gott“,,von einer Gewissensinstanz, die

Verantwortung erst sinnvoll macht. Kritische Forscher und ernste Praktiker, sagt Dozent

Gottfried Roth, unterscheiden heute zwischen therapeutischer nind sakramentaler

Seelsorge. Die Psychiatrie deckt die Ursachen der Krankheit auf, sie kann die

Schuldgefühle aus ihrer Fixierung herauslösen und den Patienten für den Seelsorger vorbereiten.

Es gibt echte Schuld gegenüber einem personalen Gott und unechte Schuldgefühle von krankhafter Art. Es wird also wesentlich das Sakrament von der Psychotherapie unterschieden.

Ein echtes Sündenbewußtsein, sagt Roth, kann sich über das vegetative

Nervensystem als leib-seelische Störung zeigen und Schlaflosigkeit, Nervosität,

Frustrationsgefühle, allgemeine Schwäche, Unausgeglichenheit zur Folge haben. Durch psychotherapeutische Behandlung und Seelsorgegespräche kann der wahre Grund herausgefunden werden.

Dabei können unbegründete Schuldgefühle in ihrer Unechtheit erkannt werden. Es kann auch ein ursprünglich begründetes Sündenbewußtsein gemütsmäßig verdrängt worden sein, so daß der Arzt eingrei- fen muß und die Fehlhaltung bewußt macht.

Es gibt aber auch Reifungskrisen, wenn etwa ein Mensch um die sittliche Ordnung in seinem Leben ringt.

Viktor Frankl sieht „Noogene Neurosen“ - das sind Leiden an der Sinnlosigkeit des

Daseins: Menschen, die in der „Ich-Einsamkeit“ leben, weil sie das liebevolle DU „Gott“

nicht kennen. Das können auch Ehepaare mit existentiellen Neurosen sein, die an der

Grauenhaftigkeit der in sich verschlossenen Menschen kranken.

Mit solchen Menschen sind die psychiatrischen Anstalten bevölkert, betont Dozent

Roth. Der Psychiater muß diese Patienten so weit aufschließen, daß sie wieder einen Sinn im Dasein finden können.

Gegen Selbstmordabsichten ist eine religiöse Lebenshaltung eine Barriere, ein echter Schutz. Bei schwerer Melancholie jedoch und ausgeprägter Schizophrenie ist

Religion nicht mehr einbringbar. Auch für religiöse Zwangsneurotiker ist die Beichte nicht zuständig. Die Pastoralmedizin weist hier den Weg, wo die Pathologie beginnt.

Anfänglich wurde versucht, den Seelsorger durch den Psychiater zu ersetzen. Heute fallen die Seelsorger allzuleicht in den Sog der Psychotherapie, meint Roth. Wenn im

Seelsorgegespräch nur mehr Wert auf Lösung der Konflikte gelegt wird und nicht mehr auf die Vergebung der Schuld, wird die Beichte aus ihrer sakramentalen Struktur herausgelöst.

Der Trend sei heute allzu stark auf die Psychotherapie und weniger auf das

Heilsgeschehen durch das Sakrament ausgerichtet, sagt Roth. Einer der Gründe sei sicher auch darin zu finden, daß derzeit Pastoralmedizin kein Pflichtfach mehr im

Theologiestudium ist.

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