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Religion auf die Couch?

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Wenn es stimmt, daß die Psychoanalyse beiträgt, neurotische Erkrankungen, etwa zwanghafte Selbstverstümmelungen, destruktives Machtstreben und damit verbunden Verletzungen anderer zu verstehen und zu heilen, dann müßten die Religionen eingedenk ihrer Geschichte dankbar sein, daß sie von Psychoanalytikern eingeladen werden, auf der Couch in einem zwar schmerzhaften Prozeß Ängste, Kränkungen und Wünsche zur Sprache zu bringen. Nur eine gesunde, weltoffene und beziehungstiftende Religiosität kann ja ebensolche Menschen fördern. Daß von Seiten religiöser Institutionen aber der Widerstand gegen die Psychoanalyse immer noch sehr stark ist, muß nicht unbedingt ein Zeichen für gesunde Religiosität sein.

Die Autoren des vorliegenden Bandes, etwa Adolf Holl, Erwin Bartosch, Harald Leupold-Löwenthal, Anton Szanya oder Sigrun Roßmanith werfen einen kritischen Blick auf gern vertuschte Kehrseiten des Christentums: Haß, Gewalt und sadomasochistische Gelüste werden als Elemente des Christentums aufgezeigt, die zwar zumeist verhüllt sind, aber in bestimmten Situationen aufbrechen. Krankheit oder Wahn ebenso wie angstgetriebenes Streben in fundamentalistische Scheinsicherheit werden in diesem Buch aus vorrangig psychoanalytischer Sicht erörtert. Wenngleich die Überlegungen vielfach polemisch und ergänzungsbedürftig sind und natürlich nicht alles gesagt wird, was die Psychoanalyse zum Thema Religion zu sagen hat, sollte dieses Buch nicht unbeachtet bleiben: gerade verdrängte Probleme sind es ja, die Religionen zu gefährlichen Ideologien werden lassen.

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