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Riesen im US-Pantheon

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Die amerikanische Buchindustrie hat anläßlich des 200-Jahr-Jubiläums der Verfassung der USA den Markt mit Neu- und Wiedererscheinungen überschwemmt. Eine Auswahl.

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Die amerikanische Buchindustrie hat anläßlich des 200-Jahr-Jubiläums der Verfassung der USA den Markt mit Neu- und Wiedererscheinungen überschwemmt. Eine Auswahl.

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Catherine Drinker Bowens „Miracle at Philadelphia“ (Das Wunder von Philadelphia) stammt aus dem Jahre 1966 und wurde jetzt neu aufgelegt. Darin werden unter anderem die gewaltigen Redeschlachten der „Versammlung von Halbgöttern“ (Thomas Jefferson) packend geschildert.

Christopher Collier und James Lincoln Collier legen mit „Deci-sion in Philadelphia“ (Entscheidung in Philadelphia) ein überaus populäres Geschichtswerk vor.

Die Stärke der Colliers liegt in den Kurzbiographien der schillernden US-Verfassungsväter. Unter ihnen sticht der f eingliedrige und schüchterne intellektuelle Virginier James Madison hervor, der wohl gescheiteste politische Kopf dieser „Riesen im amerikanischen Pantheon“. Und dann war da noch jener Luther Martin, der eine dreistündige Rede in betrunkenem Zustand hielt, weil er in diesen überaus heißen Sommertagen des Jahres 1787 einfach viel trinken mußte, „um Nachschub für den erstaunlichen Schweißverlust zu beschaffen“.

Zu einer der eindrucksvollsten Neuerscheinungen zählt der Katalog einer Ausstellung in der New York Public Library zum Verfassungs-Bicentennial. Der junge Historiker Richard B. Bernstein zeichnet in diesem reich illustrierten Band das Zeitalter der amerikanischen Revolution nach, in dem es darum ging, nach der erfolgreichen Revolte gegen den britischen König eine amerikanische „Nation“ zu schmieden.

Die Revolution hatte sich zum Ziel gesetzt, für die Leute Selbstverwaltung einzurichten und Souveränität in Institutionen zu plazieren, die möglichst volksnah gestaltet sein sollten. Seit 1781 wurden die 13 ehemaligen Kolonien mit den „Articles of Conf edera-tion“ regiert, deren zentrale Exekutivgewalten sich aber bald als zu schwach erwiesen, die junge Nation zusammenzuhalten. Es fehlte an Rechten zur Besteuerung des Volkes; die einzelnen Bundesstaaten bewachten einander eifersüchtig und stritten über die Grenzen der riesigen unbesie-delten Landstriche im Westen.

Als die Krisenstimmung im Jahre 1785 wuchs, erkannten die nationalen Geistesgrößen wie Madison und Alexander Hamilton, daß eine Verfassungsrevision nicht mehr länger aufgeschoben werden durfte, wollte man die allseits geschwächte Union bewahren. Nach den Worten des vergötterten George Washington wollte man „den Defekten der Verfassung auf den Grund gehen und eine Radikalkur vorschlagen“.

Bernstein schließt seine ausgezeichnete Schilderung mit der Ratifizierungsdebatte in den verschiedenen Verfassungskonventen der einzelnen Bundesstaaten.

Wenn die Verfassung die amerikanische „politische Bibel“ ist, so sind die „Federalist Papers“ der Katechismus. Madison, Hamilton und John Jay schrieben 1788 in großer Eile jene berühmten „Pu-blius-Briefe“, die als „weitaus einflußreichste Erklärungen zur neuen Regierungscharta“ in die Geschichte eingegangen sind. Die 85 Essays, für Zeitungen geschrieben, wollten dem Publikum die Notwendigkeit einer starken nationalen Regierung explizieren und trugen viel zur schnellen Ratifizierung der Verfassung bei.

Madisons Federalist Nummer 10 ist „möglicherweise der größte amerikanische Beitrag zur politischen Theorie“ der Neuzeit. Für den politisch interessierten Leser ist daher Clinton Rossiters neu aufgelegter „Föderalist“ eine willkommene Ergänzung.

„Vorbild Amerika?“—ein Büchlein des deutschen Politologen Klaus von Beyme — ergänzt die hier behandelte, durchwegs englisch-sprachige Literatur gut. Beyme versucht, den Einfluß der amerikanischen Demokratie auf die Verfassungsentwürfe in der Welt in den Perioden bis 1848, nach 1918 und nach 1945 nachzu-vollziehen.

Der Autor geht dabei in allgemein verständlicher Sprache der Frage nach, wie innovative amerikanische Verfassungsinstitutionen, zum Beispiel das präsidenti-elle Regierungssystem, der Föderalismus oder die richterliche Normenkontrolle, auf Verfassungen wie die der Paulskirche oder der Weimarer Republik wirkten.

Beyme fällt auf, daß die Amerikaner nach dem 2. Weltkrieg, als sie sowohl in Japan als auch in Deutschland große Macht besaßen, der Versuchung widerstanden, ihre Verfassung — die sie für die beste der Welt hielten — anderen aufzuoktroyieren. Er konstatiert das Paradoxon, daß Amerikas „Modellwirkung um* so schwächer wurde, je stärker das Land in seiner Weltmachtrolle geworden ist“.

Gut zehn Jahre nach „Watergate“ fasziniert nach wie vor die Beobachtung, wie das US-Verfassungsinstrument im 200. Jahr seines Bestehens in der Iran-Contra-Affäre wieder einmal auf dem Prüfstand steht und auch diese Probe zu bestehen scheint.

Die Amerikaner haben sich weder vom englischen König George III. tyrannisieren lassen, noch werden sie sich von den „Ram-bos“ des Ronald Reagan ihre Konstitution unterminieren lassen.

Von der Qualität der Selbstreinigungsmechanismen in der amerikanischen Verfassung — die von verständnislosen Europäern oft als bloße Riten abqualifiziert werden - könnte man sich auch auf dem „Alten Kontinent“ mitunter ein Stück abschneiden.

MIRACLE AT PHILADELPHIA Von Catherine Drinker Bowen. Little, Brown & Co., Boston-Toronto 1986. Pb., 346 Seiten.

DECISION IN PHILADELPHIA Von Christopher Collier und James Lincoln Collier. Ballantine, New York 1986. Pb., 432 Seiten.

ARE WE TO BE A NATION? The Making of the Constitution. Von Richard B. Bernstein mit Kym S. Rice. Harvard University Press, Cambridge-London 1987. Pb. (mit zahlreichen Bildern und Faksimiles), 342 Seiten.

THE FEDERALIST PAPERS. Von Clinton Rossiter (Hrsg.). New American Library, New York 1961. Pb., 560 Seiten.

VORBILD AMERIKA? Der Einfluß der amerikanischen Demokratie in der Welt Von Klaus von Beyme. Piper, Wien-Zürich 1986. Pb.. 174 Seiten.

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