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Schach dem König

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Wer hätte sich träumen lassen, daß das edle, geruhsame Schachspiel von solcher Dramatik umgeben sein kann? Schon einmal, vor nunmehr fünfeinhalb Jahren, hatte es für weltweites Aufsehen weit über den Kreis der Schachexperten hinaus gesorgt, als der exzentrische Amerikaner Bobby Fisher und der erfahrene, aber nervenschwache Boris Spasskij in Reykjavik um den Titel eines Weltmeisters spielten. Doch dieser Kampf vor und hinter den Kulissen verblaßt neben der neuen Auseinandersetzung, die jetzt Wirklichkeit geworden ist; die UdSSR, mit Abstand der Welt beste Schachnation, wollte sie unter allen Umständen vermeiden. Um die Weltmeisterschaft werden 1978 zwei Vertreter der russischen Schule kämpfen: Anatolij Karpow, der junge, hochbegabte Titelverteidiger - und Viktor Korschnoj. Dieser aber gilt als „Staatsfeind Nummer eins“ in der sowjetischen Schachwelt. Denn er ist abgesprungen, politischer Flüchtling, heute in Holland und in der Schweiz zu Hause.

Es gereicht dem internationalen Schachverband zur Ehre, daß er den Star im Exil nicht einfach von den Ausscheidungskämpfen um die Weltmeisterschaft ausschloß. Politischer Druck hat im Sport ja schon oft genug seltsame Entscheidungen hervorgerufen. Korschnoj aber durfte mitspielen - und hatte Erfolg. Im Viertelfinale rang er in einer -nicht nur auf dem Schachbrett -harten Schlacht seinen persönlichen Feind aus alten Tagen, den Ex-weltmeister Tigor Petrossjan, nieder. Es war ein Spiel ohne Worte, in eisiger Atmosphäre; ohne Händedruck, ohne Gruß. Hatte ein Spieler Schach anzukündigen oder ein Remis-Angebot, dann sagte er es dem Schiedrichter, der es an den Kontrahentenweiterleitete. Der staatenlose Korschnoj hielt dem Druck stand und siegte. Er siegte auch im Semifinale, ohne große Schwierigkeiten, gegen den jungen Pöluga-schewski in wesentlich weniger gespannter Atmosphäre. Und er schlug im Finale die letzte Hoffnung der Sowjetunion, Boris Spasskij, so vernichtend, daß als Erklärung nur — wie damals in Reykjavik - Spass-kijs schwache Nerven dienen können. Die Sowjetunion ist schockiert; die übrige Schachwelt jubelt. Der Großkampf Korschnoj gegen Karpow ist Wirklichkeit. Für Anatolj Karpow geht es um viel mehr als die Titelverteidigung.

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