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Schimpfen auf die Kirche

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Gibt es etwas Abendfüllenderes als das Schimpfen auf die Kirche? Wer hat hier nicht schon begeistert mitgemacht? Und warum eigentlich nicht? Denn in diesem Schimpfen auf die Kirche steckt ja so etwas wie das Prophetenamt aller Christen.

Man kann natürlich darüber streiten, ob es überhaupt erlaubt beziehungsweise möglich ist, etwas anscheinend so Exklusives wie Leben und Aufgabe eines Propheten zu einer Art „Jmt“ für alle Christen umzufunktionieren und damit das Prophetische gleichsam seines elitären Charakters zu entkleiden und es quasi zu demokratisieren. Aber die Generation der Reformatoren, vor allem Luther, hat ja auch nicht gezögert, ein „allgemeines Priesteramt aller Gläubigen“ anzustreben. Und die Praxis bestätigt dieses geistliche Ideal: Gerade der mündig gewordene Christ spürt das Prophetische in seiner Seele rumoren.

Jeder weiß irgend etwas Böses über die Kirche — und das ist gut so. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß es gut ist, daß die Kirche Mängel hat. Aber es gefällt mir, daß das Interesse vieler Menschen an der Kirche immerhin so groß ist, daß es ihnen dafürsteht, sie zu kritisieren. Man mag darüber lächeln, aber es steckt ein Stück prophetischer Größe in der Pose, mit der gerade der Durchschnittsösterreicher seiner Kirche gegenübertritt.

Und wenn das bei manchem nur heißt: „Sagen Sie einmal, was macht die Kirche eigentlich mit dem vielen Geld, das sie einsammelt?“ Eine berechtigte Frage, auch wenn sie oft gerade von Leuten gestellt wird, die sowieso keinen Kirchenbeitrag bezahlen. Andere Leute gehen in die Tiefe und fragen: „Wozu eigentlich Kirche, man kann doch auch ohne ein anständiger Mensch sein?“

Sicher; es ist nur zu durchsichtig, wenn Leute, die „das ganze Jahr ka Kirch'n dreckig mach'n“, beharrlich darauf hinweisen, sie würden einen regelmäßigen Kirchgänger kennen, der ein schlechter Mensch sei. Doch die Frage gilt: Wieso macht der Gottesdienstbesuch die Christen wirklich nicht zu besseren Menschen?

Wieder andere sagen: ,JDie Kirche ist viel zu politisch. Zuerst hat sie für den Kaiser gebetet, und dann für den Führer, und jetzt beten sie für Chile oder mischen sich in die südafrikanische Innenpolitik ein!“ Die Frage gilt: Christen sollten sich nicht einseitig entrüsten. Wer für die Chilenen betet, sollte nicht auf die Tschechen vergessen.

Und das Erbauliche dieser Kritik: Wer die Kirche kritisiert, steht nicht außerhalb, sondern er arbeitet an ihrer Reformation.

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