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Schlittenpartie

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Aber wenn endlich der Winter kommt, die Nebel über die Häusermassen hereinziehen, daß eine die andere nicht sehen kann, wenn die Krähe bis auf das Glacis hereinzieht, der Stephansturm ins öde wochenlange Grau verschwimmt: dann beginnt die schönste Jahreszeit Wiens.

Die Kaffeehaussessionen beginnen, die Spiel-, die Gespräch-, die Streitklubs organisieren sich, die Zechbrüder haben lange

Abende, die Verleumdungsjunta fixe Tage, die Oper und das Schauspiel überfüllen sich, die Konzerte überschwemmen uns, der Kreuzzug der Virtuosen hebt an, Strauß und Lanner musizieren an öffentlichen Orten, und in tausend Häusern hämmert das Pianoforte — das Gesellschaftsbuschwerk wuchert, und die Bälle und aller Teufel ist los. '

Einen einzigen Zug von Winterfreude hat unsere Stadt fast gar nicht oder wenigstens im Verhältnis viel geringer als die unbedeutendste Landschaft, nämlich die Schlittenpartien.

Wegen der ungeheuren Konkurrenz und der großen Unbequemlichkeiten, die für dieselbe von vielem Schnee hervorgehen, nämlich endloser Schmutz, strömendes Wasser, Anhäufung von Hügeln und Knollen, die den Fahrzeugen gefährlich sind, ist es hier gebräuchlich, daß der Schnee aus ganz Wien fortgeschafft wird.

Kaum daß er fällt, sind schon an die tausend Hände beschäftigt, ihn in große Haufen aufzuschaufeln und von da auf Wagen fortzuschaffen, und fällt morgen wieder einer, so wird er wieder aufge-

schaufelt und fortgeführt, so daß, wenn er auf dem Lande mauerhoch liegt, wir auf dem nackten Pflaster gehen und keine Ahnung haben von der Bedrängnis, mit der sich ein Fuhr- oder Postwagen durcharbeiten oder mit der ein einsamer Wanderer waten muß.

In drängenden Zeiten wird selbst nachts gearbeitet, daß man den roten düstren Schein der Fak-keln längs den anstoßenden Häusern gleiten und auf die kräftigen Gestalten fallen sieht, die da arbeiten.

Auf diese Weise sind die Schlittenpartien sehr beschränkt, und zwar auf die Zeit, die zwischen dem Schneefall und seiner Weg- ' räumung verfließt, die meistens kurz genug ist...

(Nachgelesen und zusammengestellt von Leo Leitner)

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