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Seltsame wienerische Reime

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Noch ehe die sogenannte Dialekt-Welle in Wien anrollte, gab es schon das Elementarereignis: Helmut-Qual-tinger-Text-und-MusikGerhard-Bron-ner.

Und da reimte sich in einem reinen wienerischen Reim „Kostüm" auf „Film" (denn wir sagen im Dialekt „Füm") - es reimte sich „golden boys" auf „Hernais" (denn wir sagen im Dialekt „Hernois"). Das sind reine Reime.

Der Reim im vorangegangenen konventionellen „Wienerlied" war nur bedingt rein gewesen. Er hatte zum Beispiel „fein" und „Refrain" gepaart.

Nun aber erwachte ein völlig neues Reimgefühl, das in mir immer wieder das Verlangen weckt, an einem wienerischen Reim-Lexikon oder einer wienerischen Reim-Lehre zu arbeiten.

Gestern hörte ich ein altes Volkslied im Radio, da reimte sich „Geld" auf „hätt", denn unser L ist in diesem Fall nicht zu hören.

Da beschloß ich die Niederschrift einiger unsystematischer Bemerkungen zu diesem Thema.

Wenn man nach den konstituierenden Unterschieden zwischen Deutschland und Osterreich fragt, wäre dieser ein Beitrag zu dem heiklen Thema. In Deutschland reimt sich „dachte" auf „Karte" (denn sie sagen „Kachte"), in Österreich reimt sich „Soda" auf „oder" (denn wir sagen „oda").

Das L also und das R. „Freud" reimt sich auf „Wald" (denn wir sagen „Woid"). „Zeus" reimt sich auf „alles" (denn wir sagen „ois").

Und „Häuten" und „halten" sind akustisch nahezu identisch, ebenso „Gebäude" und „Alte". Der Norddeutsche Lloyd, gäbe es ihn noch, wäre ein reiner Reim auf „gefällt" denn wir sagen „g'foit".

„Sturm" reimt sich auf „Buben" und auch auf „gestorben" (denn wir sagen „Buam" und „g'stuam" - geschrieben wird es „g'sturbn"). Unser „Darm" ist akustisch mit der Endsilbe von „Amsterdam" identisch und reimt sich auf „haben" (denn wir sagen „harn", geschrieben „hab'n"), und das ist auch ein reiner Reim auf „heim (Aufforderung zu verschwinden „geh harn"). „Gedärm" reimt sich auf „erben" (denn wir sagen „erm") und auf „ihn" (denn wir sagen „eam"). „Schirm" und „schieben" sind akustisch identisch (denn wir sagen „schiam").

„Wotan" reimt sich auf „lodern" (denn wir sagen „lodan") und auf „den Vater" (denn wir sagen „vodan"), doch dies wird nur für wienerische Nacherzählungen der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen" wesentlich sein.

„Karren" reimt sich auf „Wahn" und ist akustisch mit „Kahn" identisch.

Die Uhren reimen sich auf „vorn" (denn wir sagen „Uan" und „vuan").

Die Olga reimt sich auf ihren Verfolger. Die Leda reimt sich auf die Sünden der Väter. Unsere Metaphysik klingt, als wäre sie eine Meterphysik.

Und nun wird niemand mehr das deutsch-deutsche Deutsch und das österreichisch-österreichische Deutsch verwechseln.

Der Unterschied ist ein ebenso großer

wie zwischen Dunkelrot und Rosa, zwischen Poesie und Prosa, zwischen Marquis Posa und Hans Moser.

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