Sarah Kirsch erhielt vor kurzem den österreichischen Staatspreis 1980 für europäische Literatur. Damit ist gewiß eine beachtenswerte Lyrikerin ausgezeichnet, die 1935 in der DDR geboren ist und heute in West-Berlin lebt. Einige Kritiker attestieren ihr große Verwandtschaft mit Anette von Droste-Hülshoff.
Ihr jüngstes Bändchen „La Pagerie" läßt die lyrischen und romantischen Qualitäten dieser Autorin freilich mehr ahnen, als daß es sie zur Gänze offenbart. Fast scheint es, als würde Schriftstellern mit Namen von ihren Verlegern alles taufrisch aus ihren Tagebuchaufzeichnungen, Zettelkasten, Notizen gezogen, noch ehe es zur vollen literarischen Kraft entwickelt werden konnte.
Der Grundeinfall in diesen Prosagedichten „La Pagerie“ ist zutiefst poetisch, ausgeführt ist er - meiner Meinung nach - nur in hauchdünnen Ansätzen. „La Pagerie" ist ein halbverfallenes Schlößchen in Frankreich, eine ehemalige Zöglingsanstalt für Pagen, in der die Dichterin sich einen Sommer lang aufhielt.
Geschichtliches wird sehr sensibel mit Gegenwärtigem verbunden, die Landschaft wird allgegenwärtig mit einbezogen, auch „Kollegen“, die in diesem Winkel schon vorher da waren, tauchen harmonisch wieder auf.
Eben weil die Stimmung so zauberhaft angedeutet ist, erwartet sich der Leser vielleicht mehr.
LA PAGERIE. Prosagedichte. Von Sarah Kirsch. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1980. 64 Seiten, öS 98,60.