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Späte Rache Casanovas an seinen Verfolgern

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Die Stadt Venedig hat sich an die tschecho-slowakischen Behörden gewandt und diese gebeten, die sterblichen Überreste Giacomo Casanovas seiner Geburtsstadt zu überlassen.

Die braven Stadtväter der Lagunenstadt hätten gerne eine weitere Touristik-Attraktion, die bestimmt, versehen mit dem Gütezeichen des erfolgreichsten Liebhabers der Geschichte, Jung wie Alt magnetisch anzuziehen vermag. In ihrem Großmut sind sie bereit, Casanova alle Missetaten zu verzeihen, derentwegen er verurteilt wurde - auch diese lagen auf seinem „Fachgebiet" -, inklusive seiner verwegenen Flucht aus den Bleikammern, wahrlich eine „Verjährung" nach mehr als zwei Jahrhunderten!

Allerdings haben die Venezianer die Rechnung ohne den Wirt gemacht, das heißt, niemand weiß eigentlich so richtig, wo die Gebeine zu finden sein mögen. Zwar sind einige Dinge sternenklar: daß Casanova im Jahre 1798 als Bibliothekar des Grafen Waldstein in Dux verstarb, daß er auf dem Friedhof bei der Kapelle der Sancta

Barbara, unweit des Teichufers begraben wurde und daß es bis heute einen Grabstein an der Kapellen-Mauer gibt mit der Inschrift: Jakob Casanova Venedig 1725 Dux 1798

Bald nach dem Tode Casanovas wurde jedoch der Friedhof aufgelassen. Heute weiß niemand genau, wohin die Gebeine überführt wurden.

Einer der wichtigsten Casanova-Forscher, der Duxer Bernhard Marr, glaubt zwar, die Gebeine befänden sich unter dem Grabstein, bis ein anderer Forscher, der Tscheche Vi-teslav Tichy, beweisen konnte, daß die Gedenktafel erst zirka 20 Jahre nach seinem Tode angebracht worden war.

Schwere, aber fruchtbare Jahre

Seine letzten 13 Jahre verbrachte Casanova in Dux. Seine Memoiren, die ein wichtiger Beitrag zur Weltliteratur sind, konnte er auf dem Duxer Schloß schreiben. Der Preis, den er dafür allerdings zu bezahlen hatte, bestand aus Erniedrigung und Schande. Der Schloßverwalter Feldkirchner und der gräfliche Kurier Wieder-

tholt trieben ihre Späßchen mit dem tauben, des Deutschen nicht mächtigen und überdies impotenten Greis.

Sie hetzten das Schloßpersonal gegen ihn auf, daß er, nachdem er regelrecht zusammengeschlagen worden war, in das benachbarte Oberleutens-dorf fliehen mußte, um dort die Rückkehr des Grafen von Dux abzuwarten.

Hie und da versuchte Casanova aus seinem betuchten Gefängnis auszubrechen, wenn ihn der Graf mit nach Teplitz zu auf Kur weilenden Gästen mitbrachte oder eine ausführliche und geistreiche Korrespondenz mit wichtigen Persönlichkeiten Europas führte. Zweifelsohne waren jedoch seine Duxer Jahre für ihn die schlimmste Zeit seines Lebens, allerdings auch die literarisch fruchtbarste.

Die Bürger des Kleinstädtchens wußten nie, was sie mit dem Andenken an den Fremden anfangen sollten. Für die kleinbürgerliche Industrie- und Kohlenstadt blieb Casanova eine Art Bürgerschreck, im besten Falle mitleidig belächelt. Nur der oben erwähnte Bernhard Marr machte aus dem Studium der Schloßakten sein Lebenswerk und gab eine Reihe von Casanovas Büchern heraus.

Waren die Deutschen des 14.000 Einwohner zählenden Städtchens gegenüber Casanova gleichgültig, so waren es die Tschechen, die um 1935 ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ausmachten, nicht minder.

Erst 20 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, als es schon keine Deutschen mehr dort gab, wurden einige dürftige Broschüren über die Stadt und Casanova herausgegeben. Besucher gab es kaum, die es in die verrußte, nach Kohle stinkende Kleinstadt gezogen hätte. Immerhin erschien ein Theaterstück, betitelt „Casanova in Dux", das sogar in den 80er Jahren von einem DDR-Fernsehteam verfilmt wurde. Das war aber schon alles.

Sollten nun die Behörden derTsche-cho-Slowakei ihre Einwilligung zur Überführung (den Grabstein inbegriffen) geben, wäre die Stadt Dux (tschechisch: Ducficov) ihrer fast einzigen Touristen-Attraktion beraubt. Allerdings könnten sich die Duxer damit trösten, daß selbst die exhumierten Gebeine Casanovas wahrscheinlich nicht einmal seine eigenen sein werden. Das wäre dann eine späte Rache Casanovas an seinen Feinden sowohl in Venedig als auch in Dux.

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