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Spitze des Eisberges

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Das System war es nicht, meinte der Staatsanwalt im Prozeß gegen den einstigen Präsidenten der Steiermärkischen Arbeiterkammer, Alois Rechberger. Es war nur der „Luis" wie ihn seine Freunde nannten.

Der Luis, ein bulliger Kämpfer für die Rechte der Arbeiter, ein hoher Gewerkschaftsfunktionär und Nationalratsabgeordneter, war 1987 AK-Präsident geworden. Und war dann „wie im Märchen", wie es der Verteidiger beim Prozeß formulierte: Alois Rechberger verdiente nicht nur im gesamten rund 250.000 Schilling monatlich, es standen ihm auch noch drei Fonds zur Verfügung, aus denen er sich bedienen konnte: Der Präsidialfonds, der Refundierungsfonds und der Administrationsfonds. Der Richter rechnete beim Prozeß in Graz vor, daß unter verschiedensten Titeln drei Prozent des Budgets der Kammer den Parteien zugesteckt wurde. Bei 350 Millionen im Jahr macht das mehr als 10 Millionen. „Geld hat kein Mascherl", formulierte Kammeramtsdirektor Kurt Zacharias recht flott als Zeuge vor Gericht. Es hat eins. Und meist war's rot.

Wegen des Deliktes der Untreue stand Alois Rechberger vor dem Richter. Es ging um eine Summe von etwa 420.000 Schilling. Die Hälfte blieb dann schließlich übrig, und der Angeklagte wurde zur Zahlung von 200.000 Schilling und vier Monaten Haft bedingt verurteilt.

Ist tatsächlich nicht auch das System schuld, wenn in einer Institution Voraussetzungen geschaffen werden, die es einem Funktionär so leicht machen, die Barriere zwischen Recht und Unrecht zu übersteigen, ohne daß er das anscheinend merkt? Alois Rechberger hat „verschiedene Zahlungen veranlaßt", aber es ist nicht sicher, ob er sich bewußt war, daß er unrecht handelte. Das Geld war ja da: in Hülle und Fülle. Da ist schon einmal ein Flug für die Frau nach Deutschland drin oder die Bezahlung der Strafmandate für den Chauffeur als „Sozialleistung" oder halt auch einmal ein kleiner privater Holztransport.

Es war gut, daß es zu diesem Prozeß gekommen ist, aber es ist wenig getan mit der Verurteilung eines Mannes, wenn man den Eindruck gewinnen muß, daß sich am System kaum etwas ändert. Ja, am System. Eine Kammer, die aus den Pflichtbeiträgen ihrer Mitglieder gespeist wird und sich zum Selbstbedienungsladen für Funktionäre entwickelte. Ohne wesentliche Kontrolle.

Alois Rechberger ist mit 57 Jahren Pensionist. Seine Pension beträgt brutto rund 160.000 Schilling: Abgeordnetenpension, Kammerpension und als Zubrot die ASVG-Pension als Arbeitsunfähigkeitspension. Er nagt als Frühpensionist jedenfalls nicht am Hungertuch.

Das Kriminelle ist im Fall Rechberger nur die Spitze des Eisberges eines himmelschreienden Rechts.

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