7020587-1988_43_07.jpg
Digital In Arbeit

Tagebuch aus dem Osten

Werbung
Werbung
Werbung

Tagebucheintragungen aus Berlin-Ost, Februar 1985, Gefühle von Freya Klier, der „ausgereisten“ DDR-Thea-terregisseurin, verheiratet mit dem Barden Stefan Krawczyk, der vergangenen Freitag erstmals in Wien gastierte, nun veröffentlicht als Buch im Oktober 1988.

„Brigitte ist verurteilt und nach Hoheneck transportiert worden. Zwei Jahre und zwei Monate, Republiksflucht, dazu sechs Monate für Verschiebung von Kulturgut: Sie hatte vor Fluchtantritt ihre Bilder von Freunden mit in den Westen nehmen lassen. Sind wir so abgestumpft, daß wir diese Unmenschlichkeit ohne jeden Protest hinnehmen? Wir nehmen damit hin, daß die Neugierde auf andere Flecken der Erde genauso hart geahndet wird wie eine schwere Vergewaltigung. Eine verzweifelte Wut erfaßt mich. Ich möchte dieses Land zuscheißen.“

Ich erinnere mich, es war eiskalt, unfreundlich die Hauptstadt. Und doch — Oderberger-straße, Hinterhaus — bei Freya und Stefan, dem Liedermacher, der noch nicht ahnte, daß er bald zum Idol der ostdeutschen“ Jugend hochidealisiert werden sollte; scherzten wir nicht bei Kaffee, Marmeladebrot und albanischen Zigaretten? Uber den Warschauer Pakt, diese Avantgarde des Weltfriedens?

„Mitunter frag ich mich“ — so Freya Klier im „Abreißkalender“ — „ob es überhaupt noch Sinn macht, sich in diesem Land zu verschleißen. Die Intellektuellen haben sich weitgehend mit dem Staat arrangiert.“

Verschlissen auch Freya Klier, die am 17. Jänner 1988 im Zuge der. Rausschmißkampa-gne der SED mit Mann und Gleichgesinnten ihre Heimat verlassen mußte?

Die Einblicke in die subtile Einschüchterungsmaschinerie, die der „Abreißkalender“ bietet, sind zweifelsohne wertvoll. Doch die Ablösung der Altherrenriege um den 75jährigen Erich Honecker steht an. Deren verbunkertes Funktionärsdenken geht dem Ende zu. Doch Freya Kliers Blick bietet keine Perspektiven, ein großes Manko, das sie ihren Freunden, die blieben (FURCHE 35/1988) nicht näherbringt.

ABREISSKALENDER - Versuch eines Tagebuches. Von Freya Klier. Kindler Verlag, München 1988. 240 Seiten, geb., öS 232.40.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung