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Tragödie von Viktring

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Was war die Tragödie von Viktring? Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kamen Tau- sende von Flüchtlingen auch aus dem Raum Sloweniens nach Kärn- ten, um hier Schutz bei der damali- gen englischen Besatzungsmacht zu suchen. Den Kern dieser Flüchtlin- ge bildeten slowenische antikom- munistische Kräfte der Heimwehr (Domobranci). Der Großteil der slo- wenischen Flüchtlinge und Solda- ten der Heimwehr ließ sich auf den Feldern von Viktring, einem Vorort von Klagenfurt, nieder.

Vom 24. bis 31. Mai 1945 erfolgte von hier aus der Abtransport der Soldaten der Heimwehr, jedoch nicht, wie es ursprünglich geheißen

hatte, nach Italien, sondern nach Jugoslawien. Sie wurden von den Engländern an die Titopartisanen übergeben.

Der britische Historiker Nikolai Milosavski Tolstoy, Urenkel des russischen Schriftstellers Leo Tol- stoi, hat dieser Tage im Katholi- schen Bildungsheim Sodalitas Tai- nach/Tinje in Südkärnten unter dem Titel „Das britische ,Fair-play' und der Tod des slowenischen Vol- kes" die Ergebnisse seiner Recher- chen hinsichtlich der Tragödie von Viktring vorgelegt.

Man spricht von rund 10.000 Heimwehrleuten, die von der briti- schen Besatzungsarmee in Kärn- ten, obwohl sie die Waffen nieder- gelegt und bei ihr Schutz gesucht hatten, an Jugoslawien ausgelie- fert und von Titopartisanen größ- tenteils in den Wäldern von Gott- schee und an anderen Orten er- mordet worden sind. Außerdem lieferten die Engländer im Mai 1945 rund 60.000 kroatische Ustaschen und königstreue Serben an Jugo- slawien aus; sie wurden ebenfalls ermordet.

Bei den Nachforschungen über das Schicksal der Kosaken im Be- reich der englischen Besatzungszo- ne in Österreich stieß Tolstoy auch auf jene der slowenischen Domo- branci (Heimwehr), die nach dem Krieg Titopartisanen übergeben worden sind.

Die Engländer wurden für ihre Naivität, die Kommunisten in Ju- goslawien würden die Soldaten der Heimwehr als Kriegsgefangene behandeln, nicht bestraft. Wohl aber bezahlten die slowenischen Domobranci und ihre Familien die Naivität, daß sie die kaufmännisch- britische Höflichkeit und Korrekt- heit im Geschäftsverkehr mit der moralischen Lauterkeit und Vor- nehmheit verwechselten, mit dem Märtyrertod.

Nikolai Tolstoy, der den Befehls- haber des damaligen britischen V. Korps Toby Low (heute Lord Ad- lington) zwangsweiser Rückfüh- rung jugoslawischer und russischer Kriegsgefangener im Mai 1945 öf- fentlich beschuldigte und belaste- te, kam auf die Anklagebank. Der Gerichtsprozeß, den der einstige Befehlshaber Brigadier Toby Low (Lord Adlington) gegen Nikolai Tolstoy in London \ angestrengt hatte, brachte Tolstoy in eine heik-

le Situation, weil sich mit seinen Beschuldigungen nicht nur Toby Low, sondern der gesamte damali- ge und jetzige Heeres- und Regie- rungsapparat in England kompro- mittiert fühlte.

Unter den zahlreichen Zeugen tragischer Ereignisse im Mai 1945, die aus verschiedensten Teilen der Welt nach London gekommen wa- ren, befanden sich auch noch le- bende Zeugen des Massenmordes an Flüchtlingen und Soldaten der slowenischen Heimwehr, die von den Engländern aus Viktring an die Titopartisanen ausgeliefert worden waren.

Sie alle bestätigten vor Gericht die Aussagen Tolstoys, die er im Zusammenhang mit der zwangs- weisen Rückführung von Angehö-

rigen der slowenischen Heimwehr in seinem historisch-dokumentari- schen Werk „Der Minister und die Massenmorde" getroffen hat. Obwohl vor Gericht für Tolstoy auch hohe englische Offiziere aus- sagten und sich gegen die Verfeh- lungen der damaligen englischen Politik und das Verhalten der Füh- rung der britischen Armee ausspra- chen, wurde Tolstoy vom Gericht verurteilt und mit der Höchststrafe von 1,5 Millionen Pfund (30 Millio- nen Schilling) belegt.

Lord Adlington hatte sich vor Gericht damit verteidigt, daß die damalige Führung um ein derart tragisches Schicksal der Rückge- führten nicht im voraus wissen konnte. Er berief sich hiebei auf die Beschlüsse der Konferenz von Jalta

(Churchill, Roosevelt, Stalin).

Der Journalist Richard Ingram schrieb im Observer am 3. Dezem- ber 1989, daß die Öffentlichkeit während des Prozesses vergeblich auf die Beantwortung der Frage gewartet habe, was mit den Jugo- slawen geschehen ist, die auf Ad- lingtons Befehl an Tito ausgeliefert worden sind. Außer dem Observer äußerten auch andere britische Zeitungen ihre Enttäuschung über das Gerichtsurteil und den Scha- den, der damit Tolstoy zugefügt worden ist.

Diese Enttäuschung war auch im Bildungsheim Tainach sowohl während des Vortrages von Nikolai Tolstoy als auch während der Dis- kussion und in persönlichen Ge- sprächen deutlich spürbar. Sie läßt

sich in die Worte kleiden, die auf der Einladung zum Vortrag Tol- stoys, der in eindrucksvoller Weise einen Teil der auch in Slowenien noch unbewältigten Vergangenheit offengelegt hat, geschrieben stehen: „Der Historiker Tolstoy wurde in England wegen seiner Aufdeckung der britischen Verantwortung bei der Übergabe von Soldaten der Heimwehr an Titopartisanen ver- urteilt, weil er - wie es hieß - das Ansehen von britischen politischen Persönlichkeiten jener Zeit be- schmutzt hat. Zur selben Zeit je- doch hat die Regierung ihrer Maje- stät in Hongkong eine moralisch ebenso verwerfliche Tat verschul- det, als sie geflüchtete Vietname- sen gewaltsam dem kommunisti- schen Regime überantwortet hat. Die gewaltsame Austreibung stell- te sie erst nach lautstarken Prote- sten aus der ganzen Welt ein. Das ist eben die wahre Bedeutung der angesehenen englischen Redensart ,fair-play'."

Der Tolstoy-Prozeß findet übri- gens im Herbst in zweiter Instanz seine Fortsetzung

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