6904710-1980_40_10.jpg
Digital In Arbeit

Treffpunkt Kinderhaus

Werbung
Werbung
Werbung

Ein geräumiges Haus mit einem großen Garten, nach draußen abgeschirmt durch eine feste, undurchsichtige, grün umrankte Holzwand. Bewohnt wird das Haus von Papa, dem Chef eines Industriebetriebes, von der Mammi, die meistens, auf Beobachterposten, in der Veranda zu finden ist, und von vier eigenen und zwei Adoptivkindern des Ehepaares. Nicht zu vergessen das zahlreiche, teils namenlose Personal.

So war das halt noch in den dreißiger Jahren, bis in den Zweiten Weltkrieg hinein, in den großbürgerlichen Häusern, nicht nur in Österreich.

Dann ist da noch Seymour, ein fiktiver Besucher, dem die inzwischen längst erwachsenen Kinder bei einem ihrer Treffen im alten Elternhaus von dessen einstigem Lebensstil und von seiner Atmosphäre erzählen.

In diesen Gesprächen wird eine vergangene Welt heraufbeschworen; ein Haus „voll Wärme, Helligkeit und Glück", mit vielen Gästen, vielen Festen und schönen Kinderspielen. Ein Haus auch, in dem bei allen Ordnungsregeln, private Freiräume für alle Familienangehörigen bestehen.

Schwerwiegend, daß die Kinder im Elternhaus kaum etwas von der allgemeinen Lage erfahren. Der Papa spricht manchmal von der wachsenden Arbeitslosigkeit, in der Nazizeit von Verhaftungen, und im Krieg von Fremdarbeitern in der Fabrik; aber die Hintergründe und Zusammenhänge der Geschehnisse erklärt er den Kindern nicht.

So gehen sie aus ihrem geschützten Gehege ziemlich unvorbereitet in die Welt hinaus. Hanna, die älteste Tochter, erwähnt das in einem späteren Gespräch mit ihrem Papa und stellt da auch die Situation der Dienstboten in ihrer Kinderzeit in Frage.

Es ist Ilse Leitenberger in diesem schönen, wesentlichen Buch gelungen, Veränderungen des Lebens eindrucksvoll zu analysieren. Es gibt melancholische Anwandlungen bei der Rückschau der Kinder auf ihre Jugendzeit. „Auf Abruf hatten sie ihr wunderbares Kinderhaus, wie es heute keines mehr gibt. Aber geblieben sind, bei allen äußeren Verlusten, die inneren Werte, die es ihnen schenkte.

KINDERHAUS BÜRGERLICH. Von Ilse Leitenberger. Verlag Fritz Molden, Wien 1980,255 Seiten. öS 240.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung