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Tunesien: Ein Jahr nach der Revolte

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Ein Jahr nach der Brotrevolte in Tunesien ist die Exekutive von Ministerpräsident und Innenminister M'Zali besonders nervös geworden. Reguläre Polizeikräfte und Sonderbrigaden kämmen die Straßen und Plätze durch, wo sich Jugendliche zusammenrotten. Es muß bei weitem kein politischideologischer Treffpunkt sein, der die Aufmerksamkeit der Exekutive auf sich zieht. Entschlossene, asketisch anmutende und behaarte Gesichter genügen, um den Argwohn der Ordnungsmacht herauszufordern.

Uberall wittert die Polizei in diesen Tagen Aufrührer beziehungsweise Fundamentalisten, die mit Khomeini wohl wenig zu tun haben, jedoch einer Islam-Auslegung huldigen, in die sich die illegale Opposition gegen das Bourguiba-Regime verkleidet. Ein anderes Ventil findet sie nämlich nicht.

Gewerkschaften, Sozialisten und Kommunisten gelten allesamt als unterwürfige Regimeanhänger. Sie verheißen kaum eine Hoffnung darauf, daß sich im Lande demnächst etwas ändert.

Jene die — eher unsanft — in die tunesischen Polizei-Fahrzeuge verfrachtet werden (nur allzuoft ohne legalen Grund), finden sich in El Gorjani, Quardania oder in „freiwilligen” Arbeits- und Umerziehungslagern auf dem Cap Bon wieder. Die Tunesische Liga für Menschenrechte hat in einem Kommunique ihre Stimme zur Verteidigung der verhafteten Jugendlichen erhoben. Es gab Todesfälle während Verhören, Klagen über Folterungen und illegale Delogierungen.

Schöne Worte über Demokratieverständnis, politische Aufgeschlossenheit und Chancengleichheit verblassen dieser Tage unter den Regengüssen und der Kältewelle sowie den düsteren Erinnerungen an die Ereignisse Anfang 1984. Damals mußte die Armee ausrücken, um das Chaos im Lande unter Kontrolle zu kriegen. Inzwischen wurden den Streitkräften auch Budgetmittel zugesprochen, damit sie Hand in Hand mit der Polizei einen eventuell wieder aufkeimenden Volkszorn in den Griff bekommen.

Die Ende 1984 ausgeklungene Budgetdebatte hat erwiesen, daß es in Tunesien eigentlich an allen Ecken und Enden hapert: im Spitalswesen, im Sozialversicherungssystem, im Telephonnetz, im öffentlichen Verkehr, im Fremdenverkehr und in der Verwaltung. Vor allem aber mangelt es auch an der Arbeitsdisziplin und am Verantwortungsgefühl.

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