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Verlierer

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Anatoli Schtscharanski, ehemals prominenter Regimekritiker in der UdSSR, holte letzten Montag fünf aus Rußland kommende Familienmitglieder in Wien ab.

Eine private Angelegenheit? Keineswegs, Journalisten aus aller Herren Länder drängten sich am Flughafen Wien, um mitzuerleben, wie Schtscharanski, der selber unter großem Medientrara aus der UdSSR ausreiste, seine Verwandten begrüßt.

Was geht mehr unter die Haut und direkt ins Herz, als die große Wiedersehensfreude aus der Nähe am Bildschirm miterleben zu können?

Doch Schtscharanski und seine Verwandten spielten nicht mit. „Wir sind doch keine Schauspieler“, zeugt davon, daß in die Freude mit den Journalisten ein Wermutstropfen geriet. Lediglich am Flugfeld stellten sich die Familienmitglieder zum Gruppenbild, ehe sie ins Flugzeug nach Israel stiegen.

Ein Grund zur Enttäuschung? Schließlich sahen sich die Jour nalisten um ein Medienereignis geprellt, auf das sie quasi ein Anrecht hatten. Waren es doch nicht zuletzt die Medien, die ein Klima erzeugten, das die Ausreise Schtscharanskis aus Rußland ermöglichte.

Andererseits: Zwischen Berichterstattung über humanitäre Fragen und einem Medienspektakel, das tief in die Privatsphäre eingreift und die Intimsphäre nur allzuleicht zu verletzen bereit ist, bestehen Unterschiede, die in den letzten Jahren immer mehr verwischt wurden.

Jetzt hat sich jemand gewehrt, der allerdings die Tränendrüsen der westlichen Öffentlichkeit nicht mehr braucht. Ein Spiel mit den Medien also, das aber eher Grund zur Hoffnung ist. Denn diesmal haben jene verloren, die im Spiel mit anderen so oft Verlierer zurücklassen.

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