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Visite im „Kriegs-Werk“

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Yor einem Jahr machten diese Bergarbeiter Geschichte, als sie, provoziert von den Machthabern in Warschau, nicht gewillt waren, den Anordnungen des soeben ausgerufenen Kriegsrechtes durch General Jaruzelski Folge zu leisten. Es geschah in Kattowitz, in der damals berühmt gewordenen Zeche Wujek, wo der polnische Staatssicherheitsdienst, der berüchtigte Zomo, in die streikenden Arbeiter feuerte und in kürzester Zeit neun Tote und über 30 Verwundete verusachte.

Ein Jahr nach diesen blutigen Ereignissen, Anfang Dezember 1982, suchte ein ungarischer Journalist die Zeche Wujek auf: der Berichterstatter des Budapester KP-Blattes „Nėpszabadsag“. Er wollte sich an Ort und Stelle über die heutige Lage in der Zeche in-

formieren lassen. Sein ziemlich freimütiger Bericht enthält einige interessante Angaben; Fakten, die eigentlich für sich sprechen und den noch immer vorhandenen passiven Widerstand der polnischen Arbeiter in „ihrem“ Arbeiterstaat dokumentieren.

Die erste Frage des Ungarn betraf die Ereignisse im Dezember

1981. Seine polnischen Begleiter waren nicht gewillt, das Thema aufzugreifen. „Wir sprechen darüber ungern. Man hat über diese Sache damals genügend schon geschrieben. Lassen wir es auf sich beruhen!“

Und dann erfährt der Budapester Journalist, daß die Zeche 80 Jahre alt ist, seine Ausgänge ganz in der Nähe des Stadtzentrums liegen und die Kumpel in einer Tiefe von etwa 700 Metern arbeiten. Die Zeche Wujek produziert Schwarzkohle, und zwar ausgezeichnete Qualität. Sie beschäftigt insgesamt 6.000 Bergleute. Die Arbeit ist sehr schwierig, die Anlagen sind veraltet, die Einsturz

gefahr ist groß.

Nun erkundigt sich der Budapester Reporter, ob die Bergleute auch an Samstagen arbeiten? Denn eine der Erfolge der verbotenen Gewerkschaft Solidarnošė war doch, für alle Werktätigen in Polen die Samstag-Arbeitspause zu erzwingen.’ Die Antwort lautete: „Die Zeche ist zur Zeit unter Kriegsrecht gestellt. Wir werden vom Militär kontrolliert. Wir galten als Kriegs-Werk und somit sind unsere Arbeiter für Samstag-Arbeit verpflichtet…“

Wie steht es mit dem Parteileben in der Zeche Wujek? Der Parteisekretär, ein 35jähriger Bergingenieur, verhehlt es nicht, daß es

hier Probleme gibt. „Vorerst will ich damit beginnen, daß wir seit dem August 1980 über 500 Mitglieder verloren haben. Soviel traten aus der Partei aus. Unsere Zeche zählt mit den administrativen Kräften etwa 6.500 Werktätige. Davon sind heute etwa 1.000 Personen in der Partei. Die meisten Leute gaben im Herbst 1980 ihre Parteibücher zurück, aber es gab auch solche, die dies nach der Verkündung des Kriegsrechtes taten. Von einigen unseren Mitgliedern haben wir uns getrennt. Wir hoffen jedoch, daß, wenn wir auch weniger sind, unser Ansehen bei den Werktätigen zunimmt!“

Er bleibt auch eine Erklä- rung dieses Phänomens nicht schuldig. „Die jetzigen Parteimitglieder helfen tatkräftig, die Produktivität der Zeche zu heben und sind auch auf anderen Gebieten gewillt, der Partei zu helfen!“ (Also: große Worte und nichts anderes!)

Die letzte Frage des Journalisten von „Nėpszabadsag“: „Man spricht heutzutage viel über die neuen — staatlichen — Gewerkschaften. Wie steht diese Angelegenheit bei Euch?“

Die Antwort: „Man spricht darüber eigentlich bei uns nur wenig. Aber die Organisationsarbeit für die neue Gewerkschaft hat bei uns schon begonnen. Bis heute traten 125 Personen in diese Gewerkschaft ein — vorwiegend Bergleute …“

Mit anderen Worten: Die Zeche Wujek zählt 6.500 Werktätige. In der Staatspartei sind 1.000 Personen, also nicht einmal 15 Prozent der Werktätigen, vertreten. Und was die gewaltsame Zerschlagung der Arbeitergewerkschaft Solidarnošč betrifft, kommt die staatliche Gewerkschaft in der Zeche auf keinen grünen Zweig. Nach einem Jahr der Organisation vereinigt sie lediglich 125 Personen, von denen die Hälfte wahrscheinlich selbst von der Partei lebt — als Funktionär, Werkpolizist oder Angehöriger der Direktion!

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