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Visuelle Exegese

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Fasziniert und ratlos steht der Reisende vor den archaisch und rätselhaft anmutenden Reliefs an der Apsisaußenseite der Dorfkirche von Schöngra-bern, Niederösterreich. Wie soll er das verstehen?

Je nach Bedarf wurden aus den steinernen Bildern Geheimlehren der Templer oder flacianisch-, protestantische Botschaften herausgelesen. Ein Tummelplatz für Esoteriker, könnte man meinen, wenn es da nicht auch die weniger spekulativen Erklärungsversuche der Kunsthistoriker gäbe. In ihrer „ikonologischen Untersuchung" über Schön-grabern macht die Wiener Kunstgeschichtelehrerin Martina Pippal einen neuen und leicht nachvollziehbaren Deutungsvorschlag, der zudem theologisch plausibel ist.

Sie lehnt eine lineare Leseweise der Reliefdarstellungen ab und betont die inhaltliche Mehrschichtigkeit dereinzelnen Skulpturengruppen wie auch des gesamten Programms. Die Darstellungen haben wie ein Bibeltext mehrere Sinnebenen: „Auf diese Weise wird in Schöngrabern visuelle Exegese betrieben." Nicht minder bedeutend für die Leseweise von Pippal ist die Wechselbeziehung zwischen der Architektur des Bauwerks und dem Programm der Skulpturen. Die drei Apsisjo-che bilden demnach drei Schauflächen, in denen auf jeweils vier Reliefs einerseits definitive Glaubensinhalte (Trinität, Himmel, Hölle, Weltgericht) und andererseits temporäre Ereignisse dargestellt werden, die von den vielgestaltigen Kämpfen der menschlichen Seele (Psychomachien) erzählen.

Typologisch haben die Darstellungen an der Außenwand des Gotteshauses einen Zusammenhang mit der sakralen Handlung auf dem Altar im Inneren der Kirche. Pippals Erklärungsversuch erweist sich als durchwegs stimmig.

DIE PFARRKIRCHE VON SCHÖNGRABERN. Eine ikono logische Untersuchung ihres Apsisreliefs. Von Martina Pippal Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien 1991. 88 Seiten. 69 SW-Abbildungen. öS 280.-.

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