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Wandern ist des Dichters Lust

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Fußgänger ist der Mensch, physiologisch gesehen, auch wenn die motorisierten Zeitgenossen diese elementare Tatsache inzwischen vergessen haben. Im Zeitalter der Überschall touristen und Schnelligkeitsfanatiker wirkt der Fußgänger wie ein Relikt aus vergangener Zeit, für den die Raser allenfalls Motorengedröhn und Dreck aus den Auspuffen übrig haben. Und doch gibt es eine wachsende Gruppe von Leuten, die sich hartnäckig dem Kult des künstlich hochgeschraubten Tempos verweigern und ausschließlich per Pedes unterwegs sind. Die Dichter sind es wieder einmal, die dieses Minderheitenvölkchen anführen.

Kurt Marti ist einer aus dieser leisen und langsamen Fußgängergemeinde. In „Högerland" zeichnet er auf, was er bei seinen lebenslangen Gängen durch das hügelige (högerige) Schweizer Land gesehen hat. Idyllische Wanderungen stehen am Beginn, doch schon bald wird der

Spaziergänger von Schnelleren eingeholt: stinkende Autos, dröhnende Flugzeuge, überdüngte Felder, und betonierte Bezirke belauern den Einzelgänger auf Schritt und Tritt. Beim Gehen stellt sich ein anderes Zeitgefühl ein, es schärft sich der Blick für das Verlorene und vom Verschwinden Bedrohte. Gehend und sehend registriert Marti das noch Vorhandene und zeigt: Es gibt ihn noch, den perfekten Wundertag in der Natur. Das Plädoyer fürs Gehen ist zugleich eine Anklage gegen das „geräderte Zeitalter".

Unaufdringlich und en passant notiert der „Aussichtensammler" seine Einsichten und resümiert: „Fahren macht fahrig, Schritte sind Wurzeln. Gehen also, sehen. Ohne Ziel, ohne Ende - es sei denn, man halte den Tod für eines." Nicht müder Pfarrer, auch der Schriftsteller Kurt Marti hat das Thomasevangelium beherzigt, in dem Jesus sagte: „Werdet Wanderer!" Fast möchte man ihm, dem passionierten Spaziergänger, zurufen: „Ach, wenn man nur gehen könnte!", will sagen: so gelassen, melancholisch-heiter und bereit für das Ende des Weges. Die Zeit des fliegenden Robert scheint vorbei, die Wünsche der Phantasie gehen wieder zu Fuß. Martis „Högerland" ist ein schönes Vademecum für Fußgänger.

Zum siebzigsten Geburtstag des Autors ist gerade ein Band erschienen, der über Martis Leben und Werk nähere Auskunft gibt. Kritiker und Theologen liefern interpretierende Essays, und in dem Gespräch mit dem Herausgeber hält Marti Rückschau, wobei ihm die private Biographie als nebensächlich erscheint. Auf die Zukunft angesprochen, antwortet der Fußgänger: „Der Weg kommt, indem ich gehe." FRANZ LOQUA1

HÖGERLAND. Ein Fußgängerbuch. Von Kurt Marti. Luchterhand Verlag. Frankfurt 1990.260 Seiten, öS 265,20.

TEXTE, DATEN, BILDER. Hrsg. von Christof Mauch. Vorwort von Walter Jens. Luchterhand Verlag, Frankfurt 1991.230 Seiten, öS 154,40.

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