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Was du liest...

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Die Zeiten, in denen Filmstars und solche, die es werden wollten, auf ihre kulturellen Bedürfnisse angesprochen, unbekümmert die stereotype Antwort gaben „Ich liebe ernste Musik und gute Bücher“, sind vorbei.

Erstens, weil man damit keinen Schöngeist mehr ins Kino lockt und zweitens, weil wir's heute genauer wissen wollen.

Welche Musik also und welche Bücher? Wie ernst und wie gut?

Und weil die Journalisten und Texter neugieriger geworden sind, stellen sie die Frage heutzutage auch den Politikern. Denn merkwürdigerweise interessiert es den österreichischen Zeitgenossen, dessen Leseverhalten nicht gerade literaturverschlingend ist, doch recht brennend, was die Politiker so in ihrer Freizeit lesen. Weh dem, der lügt!

Das Unterrichtsministerium, ehedem sehr verdienstvoll in der Erforschung heimischen Leseverhaltens, könnte sich Lorbeeren mit einer vergleichenden Politiker-Untersuchung verdienen.

Da wäre einmal der Robert Mu-sil, von dem der Durchschnittsösterreicher zwar nicht weiß, was er geschrieben hat, wohl aber, daß er der Lieblingsautor Bruno Kreiskys ist.

Das spornt kolossal an.

Ein sozialistischer Politiker, der auf sich hält, liest Robert Musil: Abgeordneter zum Nationalrat, Bundesrat, Landtag, Gemeinderat, sogar Gewerkschaftsfunktionäre. Das hätte sich der Musil nicht träumen lassen.

Ein Autor, der laut Claudio Magris dem Habsburg-Mythos verfallen ist. Musil bildet. Musil hält lange an. Musil adelt.

Bei ÖVP-Politikern aber erst an , zweiter oder dritter Stelle. Ein Unterschied muß ja schließlich sein. Weh dem, der Waggerl läse! Den Peter Turrini lesen sie ja auch nicht. Nur nichts übereilen und keine Extreme bitte!

Grillparzer ist gut. Auch Stifter. Ein überparteilicher Typ, literarischer Longdrink mit gepflegtem Geschmack.

Dann kommt gleich das Cafe Griensteidl: Polgar, Kraus, Altenberg ... Da hat auch die FPÖ keine rassischen Vorurteile.

Österreicher lies nur bei Österreichern!

Außer Goethe und Schiller^ aber beide bürgerbiockverdächtig.Was Historisches ist auch gut oder was Philosophisches. Auf diesen Gebieten haben wir noch die offene Terminologie wie früher bei den Filmstars. Da wird noch nicht nach den Autoren gefragt.

Es gibt freilich auch Snobs. Die sagen: auch lebende Autoren. Oder: moderne Lyrik. Das ist der' Gipfel.

Da fragt keiner mehr weiter nach. Da entblößen die Journalisten das Haupt und schweigen. Da gerinnt der Literatur das Papier in den Adern. Da mobilisieren sich die letzten Wechselwähler. Da kreischen die Jungwähler vor Begeisterung.

Da fällt der Frühling wie eine Bombe auf den österreichischen Weg.

Als politische Kolumne soll dieser Beitrag durch Provokation zum Denken anregen. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.

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