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Watteau und die Folgen

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Von den Kästen der Bouquinisten am Quai de Conti beiderseits des Pont des Arts sind es nur wenige Schritte über die Straße zum Hotel de la Monnaie. Hinter der langen Fassade mit dem Arkaden- und Säulenvorbau liegen ein sehenswerter ovaler Innenhof und ein Museum, wo manche prächtige Ausstellung stattfand, gegenwärtig kommt Paris hierher auf der „Wallfahrt zu Watteau“, bis 31. Oktober bei freiem Eintritt. „

Die zahlreichen Gemälde, Zeichnungen und Gravüren, Gebrauchs- und Dekorationsobjekte, Kostüme und Modeartikel sind keineswegs Watteaus Werk, außer vier authentischen Gemälden, 14 Blättern mit Handzeichnungen und den Stichen nach Watteau stammt alles andere von Kopisten, Nachfolgern, Nachahmern, oder ist von Watteau inspiriert. „Ein Universum ist aus seinem Kopf hervor gegangen“, notierten die Brüder Goncourt. Mit einem Bruchteil dieser sich in Tausenden von Kunst- und Kitschwerken niederschlagenden Faszination kann der Beschauersein eigenes WatteaUrBild mes sen, jeder Franzose sieht sie vor sich, die schwarzäugigen Puppengesichter, die zierlichen Rokokofiguren, die Schäferszenen mit ihrem Liebesgetändel, die Komödiantengruppen mit ihren Musikinstrumenten und phantasievollen Kostümen, und denkt dabei an Anmut, idealisierten Lebensgenuß, gespieltes Leben und gelebtes Spiel.

Auf den 900 Gravüren, als deren Ur- haber Watteau gilt - wenn sie auch nicht von ihm, sondern von dem jeweiligen Stecher signiert sind -, den 37 Gemälden, die als gesichert gelten und den Handzeichnungen, mit denen Watteau sich in den Kreis der größten Zeichner einreiht, begegnen wir zwar häufig den gleichen Personen, aber sie bleiben namenlos. Meist standen ihm ja ohnehin die italienischen Komödianten Modell, die nicht sich selbst, sondern Rollen spielten. Weltlichkeit, die Wirklichkeitsferne nicht ausschließt - darin liegt wohl der malerische und gedankliche Reiz und Reichtum dieser in knapp 15 Jahren (Watteau starb 1721 mit 37 Jahren) entstandenen Werke, die in Frankreich mit dem Jahrhundertwechsel einen Stil- waridel auslösten und den Kontrast zu den monumentalen Historienbildern mit antiken oder biblischen Themen der hochangesehenen Akademiemaler verdeutlichten. Zeitdokumente für die sozialen Zustände in Frankreich sind zwar weder die einen noch die anderen. Das durch seine Eroberungskriege geschwächte Land mit der chronischen Unordnung in den Staatsfinanzen, der Tod Ludwigs XIV. 1715 und das sich anbahnende Ende der französischen Weltmachtstellung schürten indes gewaltig die soziale Unzufriedenheit. Watteau - wie nach ihm Boucher, Nat- tier, Fragonard - mied die ungepuder- ten Gesichter des Volkes.

Daß Popularität nicht zwangsläufig Ruhm bedeutet, erfuhr auch Watteau. Zum Hofmaler avancierte er nie. Voltaire schrieb zwar über „Vateau“ (die französische Kritik französierte den Namen des im flämischen Hennegau geborenen Künstlers), daß er für das Graziöse sei, was Teniers für das Groteske sei, während Diderot „zehn Wat- teaus für einen Teniers“ geben woltte. Den Mangel an offizieller Wertschätzung glich eine Meute von Kopisten und Sammlern aus. „Gilles“, sein be rühmtestes Gemälde, wurde erst 1804 für den Louvre erworben.

Gerade dieser „Gilles“ steht auf der Liste der strittigen Watteau-Gemälde, seit 1973 eine Gruppe französischer Kunsthistoriker in dem Madrider Verlag Athena mit der Publikation eines auf vier Bände angelegten Kommentar- und Bildwerkes zu Watteau begann, die Kunsthandel und Kunstwelt erschütterten. Bis dahin hatte man sich darauf geeinigt, Watteaus Werk in 252 authentische und 84 ihm zugeschriebene Gemälde - datierbar sind sie ohnehin erst seit 1715 — einzuteilen. Die Watteau-Stürmer lassen nur noch 37 authentische und 100 mögliche gelten. Tatsächlich ist die Zahl der eigenhändig gemalten Bilder relativ gering, vergleicht man sie mit der Unmenge der von Watteau bemalten Wandschirme, Täfelungen, Türfüllungen, Decken.

Der vierbändige Katalog (Preis 150 Francs) enthält eine einzigartige Zusammenstellung von Kommentaren und meist farbig abgebildetn künstlerischen Produkten aller Art, die ohne Watteau nicht entstanden wären.

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