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Weltgeschichte(n)

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Ich bin zu einer sensationellen Enthüllung in der Lage! Der Anschein freiheitlicher Geschlossenheit trügt! Keine Rede davon! Friedrich Peter wäre vielmehr um ein Haar mit Schimpf und Schande aus seiner Partei ausgestoßen worden! Auf dem streng vertraulichen Protokoll der „freimütigen Aussprache“, die mit dam Parteichef über die ihm zur Last gelegten Fehltritte geführt wurde, prangt in deutscher Fraktur der Stempel „Geheime Parteisache!“ Fragen Sie mich nicht, wie ich dazu gekommen bin. Hauptsache, ich habe es, dieses Protokoll. Leider ist es nicht ganz vollständig. So wurde, wohl im Zuge der Sicherstellung, ein Teil des Papiers abgerissen, so daß sich nicht mehr feststellen läßt, wer eigentlich Peter verhört hat. Nennen wir sie a\sa in nationaler Schlichtheit ganz einfach Kameraden.

1. Kamerad: Unverzeihlich, einfach unverzeihlich!

2. Kamerad: Wir sind bis auf die Knochen blamiert!

3. Kamerad: Unausdenkbar, wie unsere Wähler darauf reagieren werden! .

Peter (versucht, zu Wort zu kommen): Was habe ich denn eigentlich verbro...

2. Kamerad (schreit ihn sofort nieder): Tu nicht so, als wüßtest du nicht, was du in aller Öffentlichkeit gesagt hast!

1. Kamerad: Das war Verrat an uns!

Peter: Ach, ihr meint wohl mein harmloses Bekenntnis, daß die Führung des Dritten Reiches auch Fehler gemacht hat?

3. Kamerad (schreit): Das ist doch die Höhe, diese Dinge jetzt so zu verniedlichen!

1. Kamerad: Plötzlich nichts wissen wollen!

2. Kamerad: Du hast ausdrücklich erklärt, mit Verbrechen, die im Dritten Reich geschehen sind, nichts zu tun zu haben, und damit zugegeben, daß Verbrechen geschehen sind!

Peter: Aber ...

2. Kamerad: Da gilt kein Aber, du hast es gewagt, von Verbrechen des Dritten Reiches zu faseln. Damit hast du uns verraten.

1. Kamerad (schreit): Du hast uns den Dolch in den Rücken gestoßen!

3. Kamerad (stammelt zornesbleich, seiner Ausdrücke nicht mehr mächtig): Du... Du ...Du Demokrat!

Peter (aufspringend): Das ist zu viel!

2. Kamerad: Ruhe, Kameraden,

Ruhe, solcher Tumult ist deutscher Männer unwürdig, wo sind wir denn, sind wir — na, ihr wißt schon, was ich meine! Eines ist jedenfalls nicht zu übersehen: Kamerad Peter, noch nenne ich ihn Kamerad, hat schon mehrfach Anzeichen einer, nun, äußerst merkwürdigen Denkungs-weise von sich gegeben!

1. Kamerad: Dieses dekadente Etikett Liberal zum Beispiel — das hat doch er uns auf den Helm geklebt;

3. Kamerad: Er hat sogar von einem Gesinnungswandel geredet!

Damals hätten wir ihn ausschließen sollen!

2. Kamerad: Die Leute, mit denen er spricht — also, äußerst verdächtig!

1. Kamerad: Ich sage nur: Kreisky!

2. Kamerad: Na, und dann diese Taktlosigkeit, ein ehemaliges Lager zu besuchen! Und wie er dort feierlich aus der Wäsche geguckt hat!

Peter: Wie soll ich denn gucken, kommt doch zur Vernunft, Kameraden, ein Minimum an Anpassung an diese weichen Zeiten muß nun mal sein. Ihr wollt doch auch mal was werden!

2. Kamerad: Minister wäre nicht schlecht.

3. Kamerad: Oder wenigstens Staatssekretär.

1. Kamerad: Oder wenigstens Botschafter. Peter: Seht ihr!

1. Kamerad: Aber der Preis ist zu hoch. Unser Innerstes verraten? Niemals!

2. Kamerad: Unsere Gesinnung verleugnen? Niemals!

3. Kamerad: Unserer Vergangenheit abschwören? Niemals!

1. Kamerad: Ich beantrage Ausschluß!

2. Kamerad: Mit Schimpf und Schande!

3. Kamerad: Kehrt euch, marsch, Kameraden, zurück zu unseren heiligsten Grundsätzen! Peter raus aus Wien!

4. Kamerad (stürzt ins Zimmer): Habt ihr Radio gehört? Kameraden, sofort Radio aufdrehen.' Wiesenthal hat soeben eine Pressekonferenz gegeben! Er behauptet, Kamerad Peter hätte einer SS-Einheit angehört, die... naja, ihr versteht mich ja hoffentlich.

Peter: Es hat sich um Partisanenbekämpfung gehandelt.

4. Kamerad: Wiesenthal nennt es anders.

1. Kamerad: Wir sind beschämt. Zutiefst.

2. Kamerad: Aber Mann, Peter, vor uns hättest du doch kein solches Theater spielen müssen! Warum hast du es uns denn nicht gesagt?

3. Kamerad: Kamerad Peter hatte schon recht. Man kann nie wissen, auch hier haben die Wände Ohren. Aber dieses mannhafte Schweigen, dieser Ernst, mit dem er selbst vor uns sein Innerstes verschloß — ich sage nur: Ein Mann.

Alle zugleich, im Chor: Kamerad Peter, kannst du uns noch einmal verzeihen?

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