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Wer mit Indios sprechen will, muß Ketschua können

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Lange bevor die Spanier nach Südamerika kamen, sprachen die Indianer Ketschua. Ursprünglich war es nur eine relativ kleine Gruppe der Inkas in Cuzco (Peru). Als dieser Stamm die umliegenden Völker unterwarf und ein großes militärisches Imperium gründete, verdrängte Ketschua sämtliche anderen Dialekte. Daran konnte auch die Machtergreifung der Spanier im 16. Jahrhundert nichts ändern. Wenngleich Spanisch damit zur offiziellen Amtssprache wurde, blieb Ketschua dennoch die Verkehrssprache der Indianer. Heute sprechen sie einige Millionen in Perü, Südwest-Ecuador, West-Bolivien und N ordwest-Argentinien.

Wenn ein Indianerkind in die Schule kommt, hört es vom ersten Tag an nur noch die Sprache der Weißen. In der letzten Zeit ist man bestrebt, weniger rigoros vorzugehen. Das Ketschua soll weitergepflegt werden. So gibt es bereits Zeitungen, die nur in dieser Sprache erscheinen. Daneben blüht Ketschua im Volksbrauch, besonders in Liedern und Erzählungen, die mündlich überliefert wurden, bis sie meist Weiße zu Papier brachten. In ihnen verschmelzen indianische mit abendländischen Kulturzügen. So treten neben armen Hirten und Mägden auch Pfarrer, Könige und Grafen auf. Tiere erscheinen oft als handelnde Personen. Der Kondor als unbezwingbarer Herr der Bergwelt oder die Maus sind Kontrahenten des Fuchses. Partner des Menschen sind der Andenbär, die Schlange, der Kolibri, das Pferd, der Ochs und der Esel. Die Menschen können oft nur mit der Hilfe der Tiere ihre eigenen Grenzen überschreiten. Thema ist häufig die Überlistung eines Widersachers.

Zahlreicher als Erzählungen werden Gedichte in Ketschua veröffentlicht. Sie sind entweder für den Gesang bestimmt, um die Arbeit im Chor zu begleiten oder als Mittel, persönliches Glück oder Leid auszudrücken. So erzählt das Gedicht „Der Schmet-

terling“ von der Angst eines jungen Liebenden vor der Trauer, die ihn befallen könnte, wenn ihn sein Mädchen verläßt.

Um mit den Indianern in Kontakt zu treten, ist es auch heute unerläßlich, Ketschua zu sprechen. Dies trifft vor allem Entwicklungshelfer oder Forscher, die in Gebieten eingesetzt werden, wo die Eingeborenen schlecht oder überhaupt nicht spanisch sprechen, erklärt Dr. Othmar Huber, der Generalsekretär des Lateinamerika Institutes (LAI). Daß dafür Interesse auch in Österreich besteht, erkannte das LAI bereits vor fünf Jahren. Damals wurde mit einem Kurs für Ketschua begonnen. Man kann dafür keine Massen erwarten, doch absolvieren ihn jährlich sechs bis zehn Hörer.

Für das Wintersemester 1977/78 haben sich acht Teilnehmer gefunden. Die Gründe dafür sind weit gestreut:

einer bereitet sich als zuständiger Ethnologe für Südamerika am Museum für Völkerkunde für seine Studienreise nach Bolivien vor, ein anderer plant, seinen Urlaub in Argentinien zu verbringen, und ein dritter betreibt das Studium als Hobby und Zeitvertreib.

Das einzige Problem ergibt sich dar-

aus, daß weder Grammatiken noch Texte im Buchhandel zu erwerben sind. Es gibt keine wissenschaftlichen Grammatiken und nur einige wenige, die auf Analogie mit dem Lateinischen aufbauen. Die meisten Klassifikationen südamerikanischer Sprachen stehen auf lexikalischer Basis.

Solche Aufzeichnungen wurden meist von Reisenden oder Missionaren gemacht, die selbst in Phonetik unbewandert waren. Sie gebrauchen auch das phonetische System ihrer Muttersprache: Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Deutsch oder Englisch, manchmal Holländisch oder Schwedisch. Die ersten Aufzeichnungen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Bis dahin gab es kein Alphabet, keine Hieroglyphen oder Bilderschrift. Unterlagen für einen' Sprachenkurs in Ketschua müssen vom Lehrer selbst zusammengestellt werden.

So war es heuer wegen eines Leh rerwechsels erst mit einem Monat Ver- spätung möglich, den Unterrichtsbetrieb im LAI aufzunehmen. In Zukunft soll mit ähnlichen Organisationen mehr zusammengearbeitet werden, vor allem mit Bonn, wo Ketschua auch an der Universität gelehrt wird, kündigte Dr. Huber an.

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