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Wissen macht sauer

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Mein Freund, der Wissenschaftler, regt sich immer furchtbar auf, wenn einer einen Satz sagt wie „Saurer Regen gefährdet den Wald". Ganz energisch will er festgehalten wissen, der Begriff „saurer Regen" sei in dieser Undifferenziertheit chemisch und der Begriff „Wald" in dieser sum-

manschen Deutung biologisch unhaltbar. Schließlich sei der Begriff „gefährden" weder sprachlich noch philosophisch hinreichend determiniert. Die Behauptung, wonach saurer Regen den Wald gefährde, sei also schlichter Blödsinn.

Da mein Freund, der Wissenschaftler, es gut mit uns meint, erklärt er dann des langen und breiten, welche chemischen Substanzen auf Grund welcher Umweltvorgänge die Zusammensetzung des Regens zu dessen unbestreitbarem Nachteil veränderten. Er setzt daraufhin diese Erkenntnisse in Relation zu verschiedenen Arten auf Erden wachsenden Holzes, das — mit Blättern oder Nadeln versehen — in überproportionalen Erscheinungsformen dem entsprechen mag, was der Laie gelegentlich als Wald bezeichnet. Auf Grund mannigfacher Empirie sei es also durchaus zulässig, folgert er, zu behaupten, daß Anteile der vorherrschenden Niederschläge auf vitale Funktionen wachsender Hölzer einen ganz und gar verheerenden Einfluß hätten.

Nachdem wir dann seine Detailkenntnis gebührend bewundert haben, fügt er zufrieden schmunzelnd hinzu, daß man, würde man diese chemischen Phänomene der Einfachheit halber unter dem Begriff „saurer Regen" und diese diversen Konstellationen der Erdoberflächenbe-wachsung als „Wald" zusammenfassen, dann könne man mit Fug und Recht von einer „Gefährdung" sprechen.

Das liebe ich so an der Wissenschaft.

Aus: WUT UND LIEBE. Gesammelte Ansichten. Von Werner Schneyder. Kindler Verlag, München 1985.

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