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Wohlstands-Widerstand

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Unbestritten, daß Martin Walser, viel umstritten, der brillanteste Darsteller moderner Wohlstandsverwahrlosung ist. Der lakonische Titel seines neuen Romans sagt alles: „Jagd“. Als Synonym für barbarische Zivilisation: Überlegenheit in der Ehe, zwischen den Partnern, zwischen Kindern und Eltern; im Arbeitsleben mit der Konkurrenz und natürlich beim ungehemmten Ausleben des Sex.

„Gottlieb Zürn träumte“, das sind die ersten Worte — Walser-Leser kennen den Namen —; wenn die Geschichte eines Grundstückmaklers so beginnt, ist der Makel des Helden bereits ausgesprochen: er ist keiner. Die Frau, weit geschäftiger, ist ihm überlegen, daher sind es die Frauen überhaupt. Die Töchter tun, was sie wollen und erst recht die sexkundigen Kundinnen. Er will sie geschäftlich bedienen, sie bedienen sich seiner. Judith (18) geht einfach durch, kommt mit einer 19jährigen zurück, die sich ohne zu fragen im Haus einnistet, bis ein Kumpel kommt, pfeift und sie mit Pfiff wegholt.

Walser schildert immer Extreme. Die gibt es auch; für ihn gibt es nur sie. Er kennt sie und kann sie anschaulich beschreiben wie kein anderer. Anschauungsunterricht, der uns nur extrem Exotisches anschauen läßt. So kann der Autor seine stilistische Virtuosität ausspielen. Gewagte Wortkadenzen, flinke Oktavenläufe auf und ab jagen atemlos über Dissonanzen und denunzieren alle idyllische Stille. Sie ist nichts als eine Erschöpfung nach der „Jagd“.

JAGD. Von Martin Walser. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988. 223 Seiten, öS 234,-.

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