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Zur Kur in Bad Zunahm

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Jeden Montag, sechs Uhr dreißig, besteigt Frau Berta Beisgern unter den erbarmungslosen Augen der Diätassistentin die Waage. Der hautenge Gymnastikanzug, XL, quillt, Frau Berta rollt unschuldsvoll die Tortenaugen, die Assistentin notiert Zunahme.

Berta Beisgern kurt. Ursache: die Säulenbeinchen weigern sich, fürder-hin die darüber wogende Zentnerlast beschwerdefrei zu tragen. Kur kommt von cura, die Sorge. Um den Kurgast sorgen sich seine Angehörigen, seine Ärzte, das Personal und, über den Kurtaxeumweg, die ganze Kurgemeinde.

Also heißt die Devise: maßhalten. Maßhalten vor allem bei den Mahlzeiten im Kurheim. Dreimal täglich mißtraut Berta Beisgern ihren fünf Sinnen. Ihre Augen verlangen nach einer Lupe, die bratenduftverwöhnte Nase erbost sich am Iglodampf, die Geschmackspapillen tippen auf Sty-ropor. In den Ohren das hundertfache Besteckgeklapper auf fast leeren Tellern, die Hände zittern vor Verlangen. Berta Beisgerns Maxime: „Lieber etwas Besseres und dafür ein bißerl mehr” wird hier gröblich zuwidergehandelt.

Doch B. B. und Leidgenossen wissen sich zu helfen. In den therapiefreien Stunden wälzen sie sich gleich Kohlweißlingsraupen oder Lemmin-gen zu den umliegenden Schänken, Bratlfettstationen oder Cremeschnittentempeln, um sich ins Cholesterin zu stürzen.

Womit ließe sich auch sonst in so einem Kurkaff die Zeit totschlagen?

Manche dieser schwefeligen Orte sind wirklich von erlesener Häßlichkeit. Paradetujen grenzen militant ein Privatzimmerterrain vom nächsten, der Heraklitverbrauch an den Außenwänden läßt ein Schrumpfen dieser Branche nicht befürchten. Nur der Kurpark, der Kurpark, wo nächtens die Quellnymphe gaukelt, der ist traumhaft schön! Sowas müßten doch jeden Gründümmling von seiner Ideologie der toten Bäume heilen! Bäume wie Träume. Traumhaften Schatten spenden sie! Es gibt nichts Spendenfreudigeres als Kurschatten - schlichtweg big Spenders...

Ich war noch nie auf Kur. Für Pferde gibt es keine derartigen Anstalten und ich habe, Gott sei's gedankt, eine Roßnatur. Aber einmal jährlich besuche ich meine starke Tante Berta in Bad Zunahm, wo sie sich ihre kleinen Schwächen umverteilen, wegspülen oder verbessern läßt. Das genügt mir.

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