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„Bürgerlicher“ Marx?

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Max Weber. Soziologie — Weltgeschichtliche Analysen — Politik. Mit einer Einleitung von Eduard Baumgarten. Herausgegeben und erläutert von Johannes Winckelmann. Alfred-Kröner-Verlag, Stuttgart. Kröners Taschenausgabe 229. XXXV + 576 Seiten, 1 Abbildung

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Max Weber. Soziologie — Weltgeschichtliche Analysen — Politik. Mit einer Einleitung von Eduard Baumgarten. Herausgegeben und erläutert von Johannes Winckelmann. Alfred-Kröner-Verlag, Stuttgart. Kröners Taschenausgabe 229. XXXV + 576 Seiten, 1 Abbildung

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Längst war die vorliegende Ausgabe, Proben aus Max Webers universalem Schaffen, fällig. Nun liegt sie in würdiger wie einwandfreier Weise vor. Soziologie, eines der Hauptgebiete Max Webers, steht selbstverständlich auch hier im Vordergrund. Die ausgewählten Texte zeigen, warum Max Weber zum Vorbild der Soziologengeneration von heute werden mußte. Vermied er doch jede dogmatische Einseitigkeit und ersetzte sie durch eine fast an Systemlosigkeit grenzend'- Vielseitigkeit. Die spekulative Lust zu einem Totalbegriff, der wie ein Zauberschlüssel alle Schlösser öffnet, war ihm fremd. Seine Soziologie war, und seine spezifische Methode prägt sie, ein „idealtypischer" Ansatz im durchstürmten Gesellschaftsproblem. Mehr aber kann Wissenschaft nie sein. Sie löst nicht endgültig; sie löst, um zu fragen. Sie wertet auch nicht; aber, indem sie fragt, entlarvt sie. Soziologie, die zu Max Webers Zeiten von Ignoranten als Maskenverleihinstitut bezeichnet werden konnte, wurde in Max Webers Händen ein Institut der Demaskierung. Soziologie entlarvt! Sie entlarvt Ideologien, Paragraphen, Systeme aller Art. Spiegeln doch diese zumeist massive Interessen! Der „bürgerliche Marx“ wurde daraufhin Max Weber genannt. Doch vertiefte und überwand er Marx. Wußte doch Max Weber genau um die Grenzpfähle der Soziologie, um die Soziologisierbarkeit von Geschichte und Geist. Für Marx, der hier alles, Weltgeschichte und Weltgeist, auf Eigentum, nur auf das Anwesen des Menschen, nicht auf sein Wesen selbst, stellte, war ja jede Geistgebilde „Ueberbau“, luftige Aufstockung. Kritisch und realistisch hingegen betonte Max Weber, daß, was „Ueberbau“, was „Unterbau“ je sei, sich nicht a priori fixieren lasse. Deshalb bekämpfte er schon am Ersten Deutschen Soziologentag, 1910, die Ansicht, „als ob man die religiöse Entwicklung als Reflex von irgend etwas anderem, von irgendwelchen ökonomischen Situa-

tionen betrachten könnte". Daß Geist geschichtlicher Gestalter sei, bewies schließlich seine Kalvinismus- Kapitalismus-These. Trotzdem gibt es der Rückfälle in die ökonomische Geschichtsauffassung bei Max Weber genug. Deutet er doch das „alte Christentum“ als „spezifische Handwerkerreligiosität“ und nicht gerade geschmackvoll die Jünger Christi als „wandernde Handwerksburschen". Auch will Max Weber ganz allgemein die Zwecke des religiösen Handelns „überwiegend ökonomisch“ verstehen. Es ist aber wieder bezeichnend für ihn. daß er mit diesen und ähnlichen Analysen das „Wesen der Religion“ trotzdem nicht ausgehoben wußte. Diese Einschränkung durchstaltet auch die anderen Abhandlungen, davon die „Typen der Herrschaft" besonderes Interesse beanspruchen dürfen. Auch hier wird nur „ideal- typisch“ beleuchtet. Es hätte allerdings auch alles a n d e r s beleuchtet werden können, gibt Max Weber zu verstehen, und dies nicht aus Standpunkt- losigkeit, wie dieses Verhalten oft mißverstanden wurde, sondern aus der Fülle der Aspekte, ln Max Weber verschmelzen zwei, manchmal auch mehrere Zungen, um ein Problem anzureden. Daß er politisch sich wohl zu entscheiden getraute, auch das zeigt vorliegende Taschenausgabe,; der Abdruck: „Der Beruf zur Politik“! Tolle, lege, darf auch in diesem Fall gesagt werden.

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