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Wissenschaft als Beruf

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Was bedeutet uns heute Max Weber?

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Was bedeutet uns heute Max Weber?

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Die Würdigungen, die Max Weber vor zwei Jahren zuteil wurden, wirkten eher wie ehrfurchtsvolle Verbeugungen vor dem Genie der Jahrhundertwende, als daß sie seine Gedankenwelt lebendig aufgefrischt hätten. Die Feiern verrauchten und es wurde wieder still um das Phänomen Max Weber, der zu jenen klassisch gewordenen Autoren gehört, die öfter zitiert als gelesen werden. Seine Arbeiten, meist verstreute Aufsätze in Fortsetzungen, die erst nach seinem Tode gesam-

melt wurden, sind nichts Fertiges, Ausgereiftes. Das sagt schon der schwerfällige Stil, das zeigen die Gedankensprünge und Wiederholungen. Man fühlt aber auf jeder Seite, wie dieser Gelehrte mit innerer Leidenschaft die politischen Strömungen und Spannungen seiner Zeit zu bewältigen versuchte. Ob er antike Geschichte, Agrarpolitik, Religionssoziologie oder „Politik als Beruf“ vortrug, immer gab er eine Deutung seiner Gegenwart.

Max Weber hat seine politischen Anschauungen im Laufe seines nur 56 Jahre währenden Lebens mehrfach geändert, und zwar in der Regel „antizyklisch“. Im Wilhelminischen Deutschland war er Demokrat und Sozialreformer, mit Friedrich Naumann gründete er 1896 den Nationalsozialen Verein in Erfurt, verließ ihn aber bald darauf. Nach dem ersten Weltkrieg, als die Demokratie Wirklichkeit wurde, war er ihr schärfster Gegner. Er rief nach einer charismatischen, prophetischen Führungselite, die nicht der „mobilium turba Quiritium“, dem wankelmütigen Volkshaufen, nachläuft, sondern ihr mit starker Hand die Ziele setzt. Zu Kriegsbeginn hatte Weber von der „Weihe des deutschen Krieges“ gesprochen, ähnlich wie Max Scheler vom „Genius des Krieges“. Er träumte von „der weltgeschichtlichen Sendung des Deutschen zwischen den verlogenen Angelsachsen und der russischen Reglementierung“. Zu Kriegsende aber war er Pazifist, holte den Revolutionsdichter Ernst Toller aus dem Gefängnis heraus. Seine Freundschaft mit Stefan George brachte ihn mit der Bündischen Jugendbewegung in Verbindung, an deren Lauenburger Treffen 1917 er teilnahm — aber nur, um sich auch mit den Bündischen zu Überwerfen.

In den politischen Bekenntnissen Max Webers klingt Paretos Zirkulation der Eliten an, aber auch der Einfluß Jakob Burckhardts und Friedrich Nietzsches ist spürbar. Webers pessimistische Zukunftsvisionen erinnern an Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Noch kurz vor seinem Tode führte er in München mit diesem „Untergangsapostel“ eine öffentliche Diskussion ab, bei welcher Weber die Zukunft noch düsterer malte als Spengler. Er sah ein Zeitalter „zunehmender Unfreiheit, neuer Hörigkeiten, der Staatsallmacht und des Bürokratismus“ heraufkommen, das schließlich in Materialismus und Barbarei versinken werde. Weber versuchte, einer untergangsreifen Welt noch einmal neue Lebensimpulse zu geben. Immer wieder erwog er auch, aktiv in die Politik zu gehen, aber eine innere Stimme warnte ihn vor diesem Schritt. Ernst Troeltsch, einer seiner treuesten Freunde, meinte: Ein Glück für Weber persönlich, aber auch für die Politik, daß dieser Wunschtraum unerfüllt blieb.

In einem inneren Zwiespalt hat das Unbeständige in Webers politischen Anschauungen seine Wurzel. Halb Traditionalist, halb Progressist, verkündet Weber prophetisch den Anbruch eines „Zeitalters der Mechanisierung, der Zerstörung des Individuums, der konformistischen Massengesellschaft. Das Ziel wird ein sehr spießbürgerliches Wohlstandsglück sein, bestehend aus einigen Apparaten, Komfortgütern und Prestigebesitz“. Die Menschen werden zu Gefangenen einer von ihnen selbst geschaffenen technischen Welt. Es wird ein „Kapitalismus konsumgieriger Kleinstbürger“ sein, und nicht mehr ein Kapitalismus wagemutiger, aber persönlich puritanisch lebender Unternehmer.

Gewiß ist diese Vision Max Webers heute, 46 Jahre nach seinem Tode, in manchen Punkten Wirklichkeit geworden, aber nicht in dem düsteren Sinn, den er ihr beigab. Wie stets, wenn die Geschichte neue Gesellschaftsformen und Systeme hervorbringt, werden manche Fragen gemeistert, mit denen die Generation vorher nicht fertig wurde, andere tauchen auf, von denen die Älteren noch nichts ahnen konnten. Wir leben heute besser (sagen wir: komfortabler) und sorgloser als die Generation der Jahrhundertwende, aber auch geistig bescheidener als jene Zeit voll innerer Spannungen. Deshalb aber ein pessimistisches Werturteil zu fällen, widerspräche dem Gebot der Weberschen Soziologie, der Wertfreiheit. Vielleicht liegt in diesem Pessimismus Max Webers der Hauptgrund, weshalb sich unser Denken von seiner Gedankenwelt so weit entfernt hat, daß von ihm nicht viel mehr als der klingende Name geblieben ist, dessen Gedenken zu feiern man sich verpflichtet fühlt.

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