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Interesse für Religionssoziologie
Neben der Politik war es die Religionssoziologie, die Max Weber zeit seines Lebens fesselte — vielleicht ein mütterliches Erbe. Die Mutter entstammte einer Pastorenfamilie und sorgte sich noch in späten Jahren darüber, daß die religiöse Überzeugung des Sohnes verblaßte. Schon sein erster Wurf auf diesem Forschungsgebiet, die „protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, machte ihn über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt. Dem Fragment gebliebenen Aufsatz in zwei Fortsetzungen folgten Studien über die protestantischen Sekten und schließlich das umfassende Werk „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, worin er den Einfluß des Buddhismus, des Islam und des Judentums auf die Wirtschaft der einzelnen Länder untersucht.
Der Einfluß Burckhardts
Die Entdeckung, daß der europäische und amerikanische Kapitalismus in der kalvinistischen Heilslehre seinen Ursprung habe, ist weder originell noch unbestritten.
Den Grundgedanken hatte bereits Jakob Burckhardt 1870 71 in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ konzipiert. Dort heißt es: „Die kalvinistischen Länder, die schon von der Reformation an wesentlich die Erwerbenden waren, sind zu dem anglo-amerikanischen Kompromiß zwischen kalvinistischem Pessimismus in der Theorie und rastlosem Erwerb in der Praxis gekommen.“ Weber allerdings hat diesen Gedankensplitter Burckhardts meisterhaft ausgearbeitet.
Wir nennen heute Max Weber den größten deutschen Soziologen. Das war er aber weder seiner formellen Lehrverpflichtung nach (diese umfaßte Handelsrecht, römisches Recht, Agrar- und Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie, aber niemals Soziologie) noch fühlte sich Weber selbst als Soziologe — er sprach sich gegen die Errichtung soziologischer Lehrkanzeln aus, die in Deutschland seit Tönnies und Simmel aus dem Boden schossen, und sagte bei seinem Abschied vom Heidelberger Lehramt 1897 zum Ärger der Fach Vertreter: „Das meiste, was unter dem Namen Soziologie geht, ist Schwindel.“ Erst die Nachwelt hat also Weber, wider seinen Willen, zu dem großen Soziologen gemacht, als der er heute gefeiert wird. Allerdings ist in der Zwischenzeit auch aus der Soziologie etwas anderes geworden als zu Lebzeiten Webers: Die empirische Erforschung von Zusammenhängen und Entwicklungstendenzen im Gesellschaftsleben. Max Webers Problematik würden wir heute der Geschichtsphilosophie, der Wissenschaftstheorie oder der Politologie zuteilen.
„Wissenschaft als Beruf“
Max Weber befaßte sich noch mit anderen Fragen. 1911 schrieb er einen Aufsatz über die „rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik“, nach 1918 über Wahlrechtsreform, über die Kriegsschuld, über die Universitätsreform, über Handelshochschulen und über die Salzburger Universität. Er nahm auch Stellung zur „sogenannten Lehr freiheit“. Einen Höhepunkt bildete sein Münchner Vortrag „Wissenschaft als Beruf“. Gerade dieses glänzende Referat vor einer Studen- tenvereinigung läßt uns heute noch den erstaunlichen Lehrerfolg verstehen, den Max Weber schon in Heidelberg, besonders aber in Wien hatte, wo neben Studenten auch Minister und Sektionschefs vor seinem Katheder saßen, obwohl gerade die letzten Kriegsmonate, in denen Weber in Wien lehrte, von materiellen Sorgen erfüllt waren.
Max Weber gehört zu jenen Denkern der Jahrhundertwende, die mit der metaphysischen und politischen Entrümpelung der Geisteswissenschaften begonnen haben. Wieweit ist objektive Erkenntnis in diesen Wissensbereichen möglich, wieweit verbergen sich hinter den Aussagen und Gesetzen Interessenstandpunkte und Werturteile? Dieselbe Arbeit leistete damals Kelsen in der Rechtslehre, Windelband in der Geschichtsschreibung, Mach in der Erkenntnistheorie, Freud in der Psychologie.
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