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Begegnung mit Romano Guardini

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Es war um die Mitte der zwanziger Jahre, als Max Freyhan mir zuerst von ihm vorschwärmte! Max Freyhan war Rechtsanwalt, hatte aber eine unglückliche Liebe zur Literatur: er sdirieb Buchkritiken für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“, an der ich Redakteur war, und war um diese Zeit in die Vorlesungen geraten, die Guardini, ordentlicher Professor an der katholischen theologischen Fakultät Breslau, seit einiger Zeit als Gast an der Berliner Universität hielt. Freyhan war begeistert, wollte mich durchaus in die Vorlesungen mitschleppen, obwohl sie in die Hauptarbeitszeit der Redaktion fielen.

Die Stellung des Katholizismus begann damals bereits schwierig zu werden. Das Zentrum war des öfteren mit seiner Politik im scharfen Gegensatz zu der steigenden nationalen (nicht der nationalsozialistischen) Bewegung des Landes geraten; es war an der Zeit, den großen geistigen Katholizismus als Gegengewicht in den Vordergrund zu rücken. Die Berliner Universität war ein guter Boden für diese Arbeit und Guardini verrichtete sie vorbildlich. Er las über Hölderlin, entwickelte das Religiöse und seine Probleme von der Welt der Dichtung aus, und das mit soviel Niveau und Kontakt mit dem wesentlich Substanziellen beider Gebiete, daß er mit Recht von allen Seiten und Fakultäten her einen sehr erfreulichen Zulauf hatte.

Ich habe ihn zuerst in abendlichen Vorlesungen der Lessing-Hochschule gehört. Er hatte damals wenig Professorales an: eine schmale, fast knabenhaft starke Gestalt stand da oben mit einem feinen, freundlichen, bartlosen Gesicht, aus dem ein paar graublaue, helle Augen mit einem Zug natürlicher innerer Heiterkeit auf die Hörer niederblickten. Er hatte, in Deutschland aufgewachsen, kaum etwas Italienisches, auch nicht im Tonfall und der Melodie des diskreten, unpathetisch mitteilenden Sprechens. Auch den Geistlichen spürte man fast gar nicht, höchstens einmal in der selbstverständlich unbetonten Sicherheit, mit derirgendeine Erfahrung aus dem Bereich des Religiösen, eine Betrachtung Tormuliert wurde, die einer für den Vortragenden außerhalb jeder Diskussion stehenden ewigen Wahrheit galt.

Persönlich bin ich ihm um die gleiche Zeit begegnet. Den Anlaß weiß idi nicht mehr; ich hatte ihn, glaube ich, für den Fall, daß er einmal zu einem andern Publikum sprechen wolle, die Spalten der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ zur Verfügung gestellt; er machte bereitwillig von dem Anbot Gebrauch — es kam zuerst zu einem Briefwechsel, dann zu einer Begegnung, draußen im Grunewald bei Eichkamp, wo er in einer der neuen Nachkriegssiedlungen hauste. Er hrtte mich zum Abendessen eingeladen; wir saßen allein in dem hellen, freundlichen, kleinen Zimmer im Erdgeschoß, dessen Farbigkeit eine durchaus untheologisch moderne Nuance hatte. Die ältere Haushälterin, die ihn betreute, brachte das Essen und den italienischen Wein und dann begab sich eigentlich von Anfang an ein Gespräch, das es verständlich machte, wenn dieser erste Besuch erst durch die Tatsache der Abfahrt des letzten Zuges ein Ende fand. Es begann bei Hölderlin und führte bald zu Nietzsche, wobei die merkwürdige Tatsache sich ergab, daß der katholische Theologe dem Phänomen Nietzsche viel weniger mißtrauisch und skeptisch gegenüberstand als ich der Protestant mit der nur philosophischen Haltung zu Zarathustra und Dionysos.

Guardini gab damals mit Schmidthües und andern zusammen die Schildgenossen“ heraus, die neben den ersten Jahrgängen von Muths „Hochland“ die kultivierteste und geistigste Zeitschrift waren, die der deutsche Katholizismus je besessen hat. Wer Guardinis Leistung für das Sichtbarmachen nicht nur der geschichtlichen, sondern der modernen Welt des Katholizismus einmal überschauen will, muß zu dieser Zweimonatsschrift greifen, die von 1920 an bis zu ihrem Ende im Dritten Reich ebenso stark wie einst der „Brenner“ der Zeit Theodor Haeckers gewirkt hat.

Ende der zwanziger Jahre oder Anfang der dreißiger siedelte Guardini nach Zehlendorf über, in die Chamberlainstraße, wo Rudolf Schwarz für ihn ein schönes Haus gebaut hatte. In diesem Haus versuchte Guardini während des Dritten Reiches eine Art regelmäßigen Gesprächen, Begegnungen, Unterhaltungen seines Kreises und einiger Freunde zusammenzubringen. Ein oder zweimal kam ich auch hin. Dann mußten diese Zusammenkünfte eingestellt werden. Guardini wurde beobachtet, wer bei ihm aus-und einging. Die Verbindung von Geist und Katholizismus war nach 1933 noch verdächtiger. Wir trafen uns noch einmal in Lichtenrade, dann nicht mehr. Seine Vorlesungen hörten auf, seine Vorträge ebenfalls. Er war verdächtig wie alles, was Geist und geistig war. Während des Krieges verließ er Berlin und ging in ein Dorf im Allgäu, wo er bei einem Freund die schlimmste Zeit in der Stille verbrachte. Nach der Katastrophe berief ihn die Universität Tübingen, von wo er 1948 nach München zog — zu alten Freunden und neuen Taten.

Die aber sind heute mindestens so wesentlich und für die Zeit bedeutsam wie damals, als er in Berlin mit seinen Vorlesungen begann. In unserer jetzigen Epoche des Fragmentarischen ist Guardini einer der wenigen, die das Dasein weder in Bruchstücken noch in Sonderperspektiven, sondern in seiner Fülle und seinen vielfältigen Möglichkeiten als Ganzes von heute neu zu deuten versuchen. Das Neue in seiner Arbeit ist einmal das Wieder-sichtbarmachen der verschiedenartigen Erkenntniskräfte, die dem Menschen gegeben sind, von der Phänomenschau und der Intuition, dem esprit de finesse und der logique du coeur Pascals bis zu den rationalen Möglichkeiten, die der Zeit immer noch die wichtigsten, entscheidenden scheinen. Sodann gibt er von dieser Sicht aus der christlichen Daseinsdeutung die Weite, die sie gerade heute mehr denn je braucht, indem er zeigt, wie sie alle einzelnen Betrachtungsweisen zu umfassen und in einer gültigen Gesamtsicht zu vereinen mag. Er hat das eigentlich sein Leben lang getan; er weist es jetzt, die Ergebnisse seiner Arbeit zusammenfassend, in großen Bildern an großen religiösen Gestalten der Vergangenheit wie der Gegenwart auf, von Sokrates, Augustin und Dante zu Pascal, Dostojewskij, Hölderlin und schließlich Rilke — um so über dem Abstrakt-Geistigen die lebendigen Vorbilder sichtbar zu machen, die, jedes auf seinem Wege, diese letzten Aufgaben jeweils an ihre Lösung heranzuführen versucht haben.

Aus „An der Wende der Zeit“, „Menschen und Begegnungen“. Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh

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