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Ist der Satz „Dieser Satz ist falsch” wahr oder falsch?

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Was Einstein für die Physik, ist der polnische Mathematiker Alfred Tarski für die Logik.

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Was Einstein für die Physik, ist der polnische Mathematiker Alfred Tarski für die Logik.

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Epimenides, der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner. Über zwei Jahrtausende lang narrten diese beiden Sätze die Philosophen. Denn zu einer Klärung der Frage, ob alle Kreter Lügner sind oder nicht, führt Epimenides' Spruch nicht. Ganz im Gegenteil: Wie man es auch dreht und wendet, stets führt das „Paradoxon des Lügners” zu einem Widerspruch: Angenommen, alle Kreter wären tatsächlich notorische Lügner, dann käme keinem Kreter die Wahrheit -nämlich daß alle Kreter Lügner sind über die Lippen. Sagten aber alle Kreter stets die Wahrheit, wie käme es dann, daß Epimenides seinen Zuhörern eine Lüge - nämlich daß alle Kreter Lügner seien auftischt?

„Wahrheit” ist ein Grundbegriff der traditionellen Philosophie. Unzählige Philosophen haben Erklärungen und Definitionen von „Wahrheit” erdacht, die zumeist in eine Art Ubereinstimmung zwischen einer Aussage und der Wirklichkeit mündeten. Doch das lästige Paradoxon des

Lügners, das letztendlich das Beden über Wahrheit ad absurdum führt, konnte über lange Zeit keiner unschädlich machen. Dies gelang erst dem polnischen Logiker und Mathematiker Alfred Tarski, einem der bedeutendsten Forscher dieses Jahrhunderts. „Tarski lieferte die heutigen Grundwerkzeuge für die formalen Wissenschaften und die Wissenschaftstheorie”, erklärt der Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler, Leiter des Institutes Wiener Kreis, das diese Woche eine Tagung über Tarski veranstaltet.

Tarski wurde als Alfred Tajtelbaum 1901 in Warschau geboren. Er studierte Mathematik und Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt, damals Hort einer für Fachleute legendären Schule von Logikern und Mathematikern. Bald wurde Tarski -zusammen mit dem Wiener Mathematiker Kurt Gödel (1906 bis 1978) -zu einem der größten Logiker aller Zeiten: „Was Einstein für die Physik ist, sind Tarski und Gödel für die formalen Wissenschaften”, weiß Stadler. Trotzdem erhielt Tarski wegen des in Polen herrschenden Antisemitismus keinen ordentlichen Lehrstuhl in seiner Heimat. Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, befand er sich zufällig auf einer Vortragsreise in den USA - was ihm wahrscheinlich das Leben rettete. Er blieb in Amerika und arbeitete von 1942 bis 1973 als Professor für Mathematik an der Universität Berkeley. Auch Harvard und Princeton konnten ihn für Lehraufträge gewinnen. 1983 starb Tarski in Kalifornien.

Tarski erkannte, daß Ungereimtheiten wie das Paradoxon des Lügners entstehen, weil man in jeder natürlichen Sprache wie Deutsch, Englisch oder Polnisch über die Sprache selbst sprechen kann. Tarski beschäftigte sich jedoch nicht mit natürlichen Sprachen - die sind nämlich ohnehin viel zu ungenau - sondern mit formalen Sprachen. In diesen absolut exakten, an mathematische Formeln erinnernde wissenschaftlichen Sprachen dürfen, so legte es Tarski fest, Ausdrücke wie „wahr”, „falsch” oder „Aussage” nicht vorkommen - denn dann wäre „Diese Aussage ist falsch” formulierbar, die griffigste Form des Lügner-Paradoxons. Weil in diesen formalen Sprachen nur über die außersprachliche Wirklichkeit gesprochen werden kann, nannte Tarski sie „Objektsprachen”.

Ob ein Satz einer Objektsprache wahr oder falsch ist, kann nur in einer anderen Sprache beurteilt werden, in einer Sprache höherer Ordnung: der Metasprache. In einer Metasprache dürfen „wahr”, „falsch”, „Aussage” und ähnliche Ausdrück vorkommen. Sobald Objekt- und Metasprache fein säuberlich unterschieden werden, kann das Paradoxon des Lügners nicht mehr formuliert werden.

Die Trennung von Objekt- und Metasprache ist das eine große Verdienst Tarskis. Das andere ist seine „semantische Wahrheitsdefinition” (die natürlich nur in der Metasprache möglich ist). Mit dieser - nicht in wenigen Sätzen erklärbaren - Definition löste Tarski auf einen Schlag sämtliche Probleme, unter denen die bisherigen Versuche, Wahrheit zu definieren, gelitten hatten. Kritiker werfen Tarski jedoch vor, der eigentlichen Problematik auszuweichen: Denn für Tarski besteht Wahrheit in einer bestimmten Beziehung zwischen einer Objekt- und einer Metasprache. Doch Wahrheit, so die Kritiker, sei nicht eine Sache zwischen zwei Sprachen, sondern zwischen Sprache und Wirklichkeit.

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