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Zum 100. Geburtstag des österreichischen Mathematikers Kurt Gödel.

Gott existiert, weil die Mathematik widerspruchsfrei ist, und der Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können.

André Weil, französischer Mathematiker (1906-1998).

Als das Time-Magazin zur Jahrtausendwende die 100 bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ins Rampenlicht der Druckerschwärze rückte, wurde niemand geringerer als Douglas Hofstadter mit der Aufgabe betraut, den österreichischen Mathematiker und Logiker Kurt Gödel vorzustellen. Hofstadter hatte bereits 20 Jahre zuvor, in seinem mit dem Pulitzer-Preis des Jahres 1980 ausgezeichneten "Gödel, Escher, Bach. Ein endloses geflochtenes Band" - ein sowohl dem Inhalt als auch dem Umfang nach erstaunliches Schwergewicht eines Wälzers - Gödels bahnbrechende Beiträge weit über die formal engen Grenzen der Mathematikerzunft hinaus populär gemacht.

Ein sanfter Hauch von Ironie scheint jedoch in die Schlagzeile, die Hofstadter seinem Times-Artikel als Aufhänger voranstellte, hineingerutscht zu sein. In sinnhafter Übertragung hatte diese Headline Kurt Gödel folgendermaßen definiert: Beim Betrachten der Mathematik durch ihre eigene Linse stieß er auf sein berühmtes "Unvollständigkeitstheorem" - und trieb damit einen Pfahl durch das Herz des Formalismus.

Kurt Gödel - ein Haudegen der Logik, der mittels okkulter Methoden den untoten Formalismus zur Strecke brachte? Hofstadters ironischer Paukenschlag einer Symphonie des (mathematischen) Grauens unterstreicht in respektloser Konnotation die Art und Weise, in der Gödel Teil der Grundlagengeschichte der Mathematik wurde.

Um 1906, als er in Brünn als zweiter Sohn eines Textilfabrikanten geboren wurde, hatte sich der Formalismus mit seiner Interpretation der Mathematik als rein symbolisches Spiel, dessen Bedeutung von jeglicher anschaulichen Wirklichkeit befreit werden konnte, bereits als führende philosophische Denkschule durchgesetzt.

Kein vollständiges Wissen

David Hilbert, die anerkannte Speerspitze dieser Bewegung, forderte anhand seiner 23 legendären Aufgabenstellungen die Mathematiker der Welt auf, vom Baum der mathematischen Erkenntnis zu essen: Da ist das Problem, suche die Lösung. Du kannst sie durch reines Denken finden; denn in der Mathematik gibt es kein Ignorabimus!

Bedurfte es eines höheren Maßes an Motivation, um den Angriff der leichten Mathematiker-Brigade auszulösen? In diesem Vierteljahrhundert der allgemeinen Auseinandersetzung mit den Grundlagen des mathematischen Denkens wuchs ein seltsam neugieriger, zugleich scheuer und wagemutiger Kurt Gödel aus familiärer Geborgenheit hin zur intellektuellen Reife. Der sprachlich und mathematisch talentierte Kurt wählte zunächst den Studiengang für Theoretische Physik, bevor er sich den Fragestellungen der mathematischen Logik und Mengenlehre zuwandte. Im Spannungsfeld des von Moritz Schlick gegründeten Wiener Kreises und in der von Karl Menger geleiteten Veranstaltungsreihe "Mathematische Kolloquien" wurde er mit der zweiten der Hilbert'schen Aufgaben konfrontiert: die Widerspruchsfreiheit der arithmetischen Axiome zu beweisen.

Um Begriffe wie Wahrheit und Beweisbarkeit einsichtig zu machen, schlug der frisch gekürte 23-jährige Doktor Gödel einen außergewöhnlichen Weg vor. Wie in keinem anderen Kernbereich der Mathematik lassen sich Fragestellungen der Arithmetik auf den einfachen Vorgang des Zählens reduzieren. Gödel verwandelte nunmehr selbst die Sprache des logischen Kalküls sowie Aussagen über arithmetische Gesetzmäßigkeiten derart geschickt in Nummern, dass ein Beweisen von Formeln nunmehr vollständig durch das Aufstellen berechenbarer Beziehungen zwischen Zahlen erfolgen konnte.

Den Formalismus geknackt

In diese formalistische Idylle schmuggelte nun Gödel eine logische Sprengfalle von beängstigend archaischer Wirksamkeit: den Zahl gewordenen, wahren arithmetischen Satz, der sich selbst als unbeweisbar deklariert. Bingo!

Damit war bewiesen, dass in jeder (genügend reichhaltigen) widerspruchsfreien Formulierung der Arithmetik offensichtlich wahre Aussagen existieren, die durch unmittelbares Ableiten aus den Axiomen weder als wahr noch als falsch bezeichnet werden können. Die an den Formalismus gerichtete schlechte Nachricht lautete somit: Die Arithmetik (und mit ihr die Mathematik selbst) ist weder vollständig noch vervollständigbar. Und was die zweite der Hilbert'schen Aufgaben betraf: DieWiderspruchsfreiheit der arithmetischen Axiome ist innerhalb der Arithmetik nicht beweisbar.

Für die Seele, die der Mathematik (zumindest in Platonischer Sicht) innewohnt, stellten sich die Gödel'schen Unvollständigkeitssätze jedoch als ausschließlich gute Nachricht heraus. Sie ermöglichten die Rückkehr der Intuition, die Entwicklung der Rekursions-und Komplexitätstheorie sowie der Beweistheorie.

Für Gödel sicherten diese Ergebnisse vorerst nur einen Titel ohne Mittel: 1933 wurde er, auf einer niedrigen Sprosse der akademischen Karriereleiter, Privatdozent an der Universität Wien. Die Wertschätzung, die ihm berühmte Mathematiker wie der spätere Begründer der Spieltheorie und Vater des Computers, John von Neumann, und der Geometer Oswald Veblen entgegenbrachten, führte zu einem ersten bezahlten Gastaufenthalt am neu gegründeten Institute for Advanced Study in Princeton.

Die turbulenten Dreißigerjahre verbrachte er abwechselnd in Wien, Princeton und Notre Dame. Unter völliger Verkennung der politischen Umstände kehrte Gödel 1939 aus Princeton nach Wien zurück, um die ihm zwischenzeitlich aberkannte Dozentur wieder zu erlangen. Die mit seiner Frau Adele über Sibirien und Japan erfolgte Ausreise bedeutete den endgültigen Abschied von der Heimat. Er sollte (und wollte) zeit seines Lebens Wien nicht wiedersehen.

Das Hirngespinst Zeit

Gödels mathematischer Instinkt blieb auch in Princeton unerschöpflich. Er überraschte seinen Freund Einstein mit einer seltsamen Lösung zu dessen Feldgleichungen: in einem rotierenden, und somit eine Art Linkswalzer tanzenden, Universum ist die (absolute) Zeit nichts als ein Hirngespinst; nach einer hinreichen langen interstellaren Reise, könnte ein Kosmonaut jeden beliebigen Punkt seiner eigenen Vergangenheit erreichen.

Weder das Negieren der Zeit noch sein ontologischer Gottesbeweis konnten die sich im Alter verstärkenden, eingebildeten Ängste bannen. Gödels letzte Antwort auf die wahnhafte Vorstellung, vergiftet zu werden, war die gänzliche Nahrungsverweigerung. So starb im Jänner 1978 der größte Logiker seit Aristoteles.

Der Autor ist Mathematiker an der TU Wien und einer der Betreiber des "math.space - Verein für Mathematik als kulturelle Errungenschaft".

Am 10. Mai um 19 Uhr findet im Auditorium des MUMOK die letzte Veranstaltung der math.space-Vortragsreihe "Gödel und das Unendliche" statt.

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