6791371-1970_39_11.jpg
Digital In Arbeit

Weg vom Engagement

Werbung
Werbung
Werbung

Das Problem des „engagierten“ Schriftstellers ist eigentlich eine sehr alte Geschichte: von den Autoren der „Satire Menippee“ (1594), die Heinrich IV. zum Thron Frankreichs verhalfen, bis au den drei Dichtern, die uns H. Balz in einem ausgezeichneten Essay vorstellt, ist die Reihe der Essayisten und Denker sehr lang — Pascal, Diderot, Chateaubriand, Lamennais, J. Valles, Zola, Peguy, Bemanos, Mauriac, Claudel, um nur einige Namen zu erwähnen —, die sich den Problemen ihrer Zeit gegenüber „engagiert“ haben. 1946/47 hat immerhin J. P. Sartre in einem umfang- und lehrreichen Artikel, „Qu'est-ce que la litterature?“ (in „Situations I“ später aufgenommen), das Problem wiederum aufgestellt und zu ihm Stellung genommen. In echt existentialistischem Sinn, versteht sich, und unabhängig ebensowohl vom bürgerlich-christlichen Standpunkt, als auch von der marxistisch-stalinistischen Ideologie. H. Balz zitiert öfters das Sartresche Exponat, welches seinen Analysen und Ausführungen zugrunde liegt. Und dies mit vollem Recht: denn die Schriftsteller, die er behandelt, haben eben das Problem Aires „Engagements“ und die Problematik ihrer Situation, bewußt oder unbewußt, als Vorläufer oder Nachfolger beziehungsweise Widersacher der Sartre-schen These im Zeichen und im Geist einer Auffassung der Individuellen Freiheit aufgestellt, mit Bezug auf die politisch-geschichtlichen Ereignisse oder Institutionen, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der existentialistischen Philosophie mit unserer Zeit stehen. Die „Korrektur am literarischen Engagement“, das heißt, eine progressive Abweichung vom politisch-sozialen Sich-Einset-zen des Schriftstellers zu Gunsten eines künstlerischen Ideals des Menschen, zu einem Humanismus der zeitlosen Ästhetik oder des hellenischen „Maßes“, ist besonders deutlich bei Malraux und Camus. In diesem Beispiel der wiedergewonnenen „Gratuität“ ä la Gide sieht H. Balz die „Selbstauflösung des Zeugen-tums“ und die entscheidende Etappe zum reinen Formalismus des „Nou-veau Roman“. Vielleicht ist es noch zu früh, eine so präzise Diagnose vorzuschlagen: welche Bedeutung wird der Literarhistoriker dem

„Nouveau Roman“ nach 20 bis 30 Jahren beimessen? Wird er als Gegenstück beziehungsweise Nachfolger der „engagierten“ Literatur der Jahre 1945/1960 betrachtet werden? Diese „engagierte“ Literatur scheint uns im „absurden“ Theater von Adamov, Becket oder Ionesco vielleicht nicht so profilierte und auffallende, jedoch echte Exponenten gefunden zu haben, die H. Balz aber kaum erwähnt. Räumt er Bernanos und Mauriac, als Vertretern der ,.Nachchristlichkeit“, ihren gebührenden Platz ein, so ignoriert er die Stellungnahme G. Marcels, und er übergeht vollkommen den Namen und das prophetische Beispiel des Dichters, der ihr Ahnherr gewesen ist, Oh. Peguy, bei dem Sozialismus ä la Proudhon, tieferlebtes Christentum und kompromißloses künstlerisch-ästhetisches Ideal ein mustergültiges „Engagement“, und. zwar ohne „Korrektur“, dargestellt haben. Balz's Studie könnte nur an Gewicht gewinnen, wenn das historische Blickfeld breiter ausfiele. Diese Bemerkung will ihre Bedeutung und Objektivität nicht in Abrede stellen, nur den Wunsch zum Ausdruck brin-gen,daß die Enquete erweitert wird und eine längere Zeitspanne der französischen Ideengeschichte umfaßt. Die Lektüre des Buches ist nicht immer leicht: dieses setzt nämlich sehr (genaue Kenntnisse über Werke, Biographie und Laufbahn der behandelten Schriftsteller und über die sehr umfangreiche Sekundärliteratur, die ihnen bereits gewidmet worden ist, voraus.

ARAGON-MALRAUX-CAMUS. Von Heinrich Balz. Korrektur am literarischen Engagement. Kohlhammer. 1970. Kleinoktav. 223 Seiten. DM13.—.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung