9/11 - auch durch Bilder erzählt

Werbung
Werbung
Werbung

Die rauchenden Türme des World Trade Centers - kaum ein weltgeschichtlich markantes Ereignis wird so durch seine Bilder mitbestimmt wie der 11. September 2001.

Kaum ein Weltereignis war so von Bildwahrnehmung und Bildangebot bestimmt wie die Geschehnisse rund um den 11. September 2001. Es darf mit Fug und Recht unterstellt werden, dass dies auch in der Planung der Terroranschläge eine große Rolle spielte: Nicht nur, dass mit den Flugzeugen ins World Trade Center von New York auch ein visuelles Symbol der globalen Wirtschaft getroffen werden sollte. Das Gebäude eignete sich auch wegen seiner Zwillingsstruktur geradezu ideal: Nachdem einer der beiden Twin Towers von einem Flugzeug getroffen worden war, konnten die Attentäter sicher sein, dass die Kameras von CNN & Co auf das World Trade Center gerichtet sein würden. Wenn es denn Kalkül war, dann ging dieses voll auf: Auch der Autor dieser Zeilen saß vor dem TV-Schirm und sah das Flugzeug in den zweiten Turm rasen. Und das Gefühl, in "Echtzeit“ dem langsamen in sich Zusammenfallen des Südturms mitzuerleben - solche Erinnerung ist aus dem eigenen wie dem kollektiven Gedächtnis nicht mehr zu löschen.

Twin Towers und Mythos Iwojima

Der französische Fotografiehistoriker Clément Chéroux hat sich in dem schmalen Band "Diplopie. Bildpolitik des 11. September“ derartigen Fragen angenommen. Seine Erkenntnisse sind aufschlussreich und tragen Erhellendes zum Verständnis der Geschichte von 9/11 bei. Auffallend ist etwa, dass die Medien aus dem reichen Bildmaterial, das über diesen Tag existiert, nur einen Bruchteil rezipierten. So beschreibt Chéroux etwa, dass praktisch alle TV-Sender der USA (und des Weiteren die Fernsehprogramme der Welt) nur gleichförmige, kurze Bildsequenzen der Ereignisse sendeten - quasi Endlosschleifen an Bildern. Oder dass kaum ein Printmedium das in die Twin Towers rasende Flugzeug abbildete. Chéroux hat 400 Titelseiten US-amerikanischer Zeitungen vom 12. September 2001 verglichen: Er zeigt dabei auf, dass in den dabei dargestellten Bildern fast überall die gleichen Motive zugrunde liegen. Eben nicht die Flugzeuge, sondern die Twin Towers und der Feuerball nach der Explosion des Flugzeugs bzw. die diese umhüllenden Rauchwolken.

Von anderen Ereignissen des dramatischen Tages gab es keine Titelseiten: Die Einschläge ins Pentagon oder der in Pennsylvania zum Absturz gebrachte United Airlines Flug 93 waren in ihrer Bildmächtigkeit den Bildern von New York eindeutig unterlegen.

In der bildlichen Darstellung der Ereignisse liegt auch eine politische Botschaft - das wird bei der Lektüre von Chérouxs Büchlein klar. Die Tageszeitung Washington Times etwa titelte am 12. September mit Balkenlettern "Infamy“: Dem gelernten US-Amerikaner war da sofort klar, dass dies ein Zitat aus der Radioansprache von Präsident Franklin D. Roosevelt nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 darstellte. Und auch die Ikonografie griff die Erinnerung ans kollektive Trauma des japanischen Angriffs auf die USA auf: Joe Rosenthals legendäres Bild vom 23. Februar 1945, als sechs US-Marines die amerikanische Flagge auf der japanischen Pazifikinsel Iwojima hissen, gehört zu den "Ikonen“ des US-Sieges gegen Japan. Dieses Bild fand eine Entsprechung bei 9/11: New Yorker Feuerwehrleute, die auf den Trümmern von Ground Zero die US-Flagge hissen, lösten sofort Assoziationen ans historische Bild aus. Nicht nur die New York Post (vgl. li.) rückte diese zitierte Ikone auf die Titelseite, auch Newsweek, das französische Oh La! oder das Hamburger Magazin stern taten es gleich.

Eine erhellende Auseinandersetzung liefert Chéroux, der Buchtitel "Diplopie“ ist der medizinische Ausdruck für "Doppelsichtigkeit“: Keine Frage, dass sich 9/11 wie kaum ein Ereignis dazu eignet, aufzuzeigen, wie sehr man auch als Rezipient "doppelsichtig“ ist, wenn es gilt, über die Bilder die Wirklichkeit der Ereignisse zu erahnen oder diese zu verschleiern.

Auch der Bildtheoretiker W. J. T. Mitchell setzt sich mit derartigen Fragen auseinander. Sein eben erschienenes Buch "Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11“ setzt dort fort, wo Chéroux endet. Denn die Bilder etwa von den Demütigungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib, die Amerikas verlorene Unschuld symbolisieren, sind zumindest eine mittelbare Folge von 9/11. Mitchell analysiert in seinem Buch auch die religiösen Kontexte, in die diese Bildpolitik markant hineinspielt. Der Autor verschränkt die Argumente des auf 9/11 folgenden "Krieges gegen den Terror“ mit der damaligen Diskussion ums Klonen - und zeigt, wie sehr sich die "Bilder“ dabei gleichen.

Das Klonen und der Terror

Der Krieg der Bilder seit 9/11.

Von W. J. T. Mitchell, Suhrkamp 2011

288 S., geb., e 29,80

Diplopie

Bildpolitik des 11. September.

Von Clément Chéroux, Konstanz University Press 2011

137 S., geb., e 19,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung