Krise als Serbiens "europäische Chance"

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Serbiens Premier Vucic will sein land in die EU führen und den Balkan wirtschaftlich besser vernetzen. nach einem umstrittenen Referendum in der bosnischen Republika Srpska kommt er aber unter Druck.

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Serbiens Premier Vucic will sein land in die EU führen und den Balkan wirtschaftlich besser vernetzen. nach einem umstrittenen Referendum in der bosnischen Republika Srpska kommt er aber unter Druck.

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Einen "Anker der Stabilität", so nennt Österreichs Außenminister Sebastian Kurz den serbischen Premierminister, Aleksandar Vucic. "Stabilität" ist ein sehr geduldiger Begriff der Realpolitik. Er verträgt sich mit Demokratie ebensogut wie mit einem ausgewachsenen Potentaten. Stabil ist alles, was hält. Auf keinen Fall hat Stabilität etwas mit Prinzipientreue oder Moral zu tun.

Im Fall von Aleksandar Vucic wären die von ihm einst vertretenen Werte in seiner Funktion als serbischer Regierungschef auch extrem unangebracht. Denn Vucic sah sich in den 90er Jahren eher als Krieger denn als Politiker. Er war damals, als die Balkankriege tobten, der Propagandachef des serbischen Präsidenten Slobodan Milos evic´. Als solcher hat Vucic gehetzt und rassistisch verunglimpft in Wort, Schrift und Bild. Er war darin sehr talentiert. Der Economist hat eine Schrift unter seiner Federführung ausgegraben, in der er den damaligen britischen Premier Tony Blair, als NATO-Partner ein Feind der Serben, als "schwulen englischen Furz" bezeichnete.

Doch das sind alte Geschichten, sagt Vucic. Der Krieg ist vorbei und Tony Blair ist mittlerweile Berater der serbischen Regierung. Der Rest sind alte Geschichten, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben und auf denen bloß seine Gegner herumreiten, um ihm, dem nun proeuropäischen serbischen Premier, zu schaden.

Die Dinge in die Hand nehmen

Immerhin kann niemand behaupten, man wisse nicht, wozu Aleksandar Vuc ic ´auch fähig ist. Aber es gibt nicht wenige Serben, die meinen, dass ein Staat in einer Übergangsperiode von einer Diktatur in eine stabile Demokratie, in der Serbien immer noch steckt, einen Mann wie Vucic braucht. Einen, der die Dinge selbst in die Hand nimmt, wo der Staat versagt und teilweise die Funktionen des Staates selbst übernimmt; einer, der die Medien kontrolliert und das Land mit fester Hand in Richtung Europa steuert. All das tut Vucic scheinbar ganz unbeirrt.

Er trifft sogar die albanische Regierung, weil er meint, der Westbalkan könne es sich einfach nicht leisten, dass die größten Länder der Region nicht miteinander kooperieren. Für einen Serben ist das ein ungeheures politisches Wagnis, und für viele seiner ehemaligen Freunde bei den radikalen Nationalisten ein Skandal.

Am Sonntag freilich scheint Vucic das Glück dessen, dem alles gelingt, erstmals in Stich gelassen zu haben. Denn da stimmten die Bewohner der bosnisch-serbischen Republik trotz des hinhaltenden Widerstands von Vucic in einem Referendum für ihren eigenen Nationalfeiertag, der noch dazu an jenem Tag begangen werden soll, an dem sich die Republika Srpska von Bosnien unabhängig erklärte und damit den Bosnienkrieg losgetreten hatte.

Kein Wunder, dass Vucic nun die Stabilität der Region insgesamt gefährdet sieht und eine Rückkehr jener gefährlichen nationalistischen Kräfte an die Macht, deren Teil er einst selber war. Aber so sagt er das freilich nicht. Er windet sich in Höflichkeiten: "Dodik ist mein Freund, daran hat sich nichts geändert. Dass wir das Referendum nicht unterstützt haben, heißt nicht, dass wir gegen das Referendum sind."

Zukunft in Europa?

Bei so vielen Unwägbarkeiten in der Region wäre es nun zumindest beruhigend, wenn Serbien eine europäische Perspektive hätte und sich die betont europäische Flüchtlingspolitik Serbiens politisch lohnen würde. Aber das ist so nicht der Fall. Die Türen der EU sind nach dem Streit um die Flüchtlingsobergrenzen, in dem vor allem die Erweiterungsländer wie Ungarn und Tschechien eine betont kritische Rolle spielten, für die kommenden Jahre blockiert.

Vucic scheint das auch bereits erkannt zu haben. Deshalb weist er in dichter werdenden Abständen auf die wachsende politische Instabilität auf dem Balkan hin. Paradoxerweise ist es genau diese Instabilität in Bosnien und anderen Ländern wie Mazedonien, die Serbien nutzen könnte. Schließlich könnte der EU nichts anderes übrig bleiben als Serbien einzugemeinden, damit es tatsächlich der "Anker der Stabilität" bleibt und nicht mit im Chaos versinkt.

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