Lob der Bescheidenen

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Alle Menschen, mit denen ich Beziehung habe, sind fleißig und bescheiden. - Nein, das erscheint mir nicht nur so, weil ich aufgrund der guten Beziehungen zu diesen Menschen positiv voreingenommen wäre. Das kann ich nachweisen anhand vieler geheimer Bekenntnisse: Erst neulich vertraute mir wieder ein Bekannter an, dass der Kollege, mit dem er arbeite, völlig unfähig und faul sei und er in Wirklichkeit die Arbeit für ihn mitmache. Mein Bekannter ist wirklich ein toller Bursche, macht einfach die Arbeit für den Kollegen mit, unbedankt und stillschweigend, dass es niemand erfährt - außer mir, weil ich eben ein Vertrauter bin.

Ein ähnliches Schicksal ertragen viele meiner Bekannten, schweigend und unbedankt. Und auch ich gebe zu, mich bisweilen stolz zu diesen schweigend alle Arbeit für die anderen unbedankt mitmachenden Mitgliedern der Geheimorganisation der Fleißigen und Bescheidenen zu zählen. Ach, wenn man uns nicht hätte!

Die Frage ist freilich: Warum tragen wir eigentlich unsere Doppelbelastung so geheim? Die Vorbildwirkung wäre doch viel größer, wenn wir im strahlenden Licht der Wahrnehmung stünden als leuchtende Idole für Engagement und Dienstmut, damit uns die vielen anderen nachahmen mögen, auf dass die Welt dann vielleicht doch eine bessere werde.

Deshalb rufe ich hiermit den Mai zum "Monat der Fleißigen und Bescheidenen" aus, und ermutige sie, sich zu melden, auf dass ich (wenn es ihnen selber schon ihre Demut verbietet) sie lobend zur Nachahmung empfehlen kann, so wie ich es eben für mich selber gerade getan habe.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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