Mangel an Bekenntnis

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Warum regen sich so viele Menschen darüber auf, wenn sich jemand klar zu einer Position bekennt? In den letzten Wochen zum Beispiel über den Atlas of Creation des türkischen Autors Harun Yahya, der eigentlich Adnan Oktar heißt, in dem er den Kreationismus aus islamischer Sicht verteidigt? Oder über ein Dokument der römischen Glaubenskongregation, das den Reformierten wegen fehlender apostolischer Sukzession und abweichendem eucharistischen Verständnis nur den Status einer "kirchlichen Gemeinschaft" (statt Kirche) einräumt? Oder Ministerin Claudia Schmied über die Perspektivengruppe Bildung unter Katharina Cortolezis-Schlager, die sich zu Vielfalt des Bildungsangebots, Wahlfreiheit der Eltern und Leistungsorientierung bekennt? Geht es dabei gar um "Wahrheit"?

Wenn man bedenkt, mit wie vielen schwachsinnigen Argumenten, Vorurteilen, Selbstentschuldigungen viele Menschen ihr unvollkommenes Dasein begründen (zum Beispiel der Begriff "Lebensabschnittspartner", weil so viele nicht treu sein wollen) und, wenn es nur genug viele sind, damit sogar Politik und Gesetzgebung bestimmen (zum Beispiel die Asylantengesetze in Österreich), stellt sich das Gefühl ein, dass sich in der Aufregung über "gegnerische" Positionen in erster Linie der Schmerz über den Mangel an eigener Position spiegelt.

Wenn schon jeder dem intellektuellen Mainstream folgend eh nachplappert, dass niemand wisse, was die Wahrheit sei, wäre - der Empfehlung des Konstruktivisten Heinz von Förster folgend - die ehrliche Reaktion darauf, sich klar zu werden, woran man selber glaubt, und das dann bekenntnishaft dagegen zu setzen. Erst dann wird Dialog möglich. Die Welt besteht nun einmal aus unlösbaren Gegensätzen.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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