"Wir haben total überholte Regelungen"

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Geflüchtete Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, stoßen bei der Unternehmensgründung auf viele Hindernisse. Der Grünen-Parlamentarier Matthias Köchl erklärt, wo die Stolpersteine liegen.

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Geflüchtete Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, stoßen bei der Unternehmensgründung auf viele Hindernisse. Der Grünen-Parlamentarier Matthias Köchl erklärt, wo die Stolpersteine liegen.

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Matthias Köchl ist Sprecher für Selbstständige bei den Grünen und Abgeordneter zum Nationalrat. Ein Gespräch über den steinigen Weg von Asylwerbern zur Selbstständigkeit in Österreich.

DIE FURCHE: Jeder zehnte Asylwerber in Österreich will sich laut einer Umfrage des AMS selbstständig machen. Wie kann man den Flüchtlingen den Einstieg in die Selbstständigkeit erleichtern?

Matthias Köchl: Das Grundproblem ist, dass sie ihre Befähigung nicht nachweisen können. Ich hatte einen Fall eines 23-jährigen Herrn, der seit über zehn Jahren als Schneider eine Kleiderfabrik mit acht Mitarbeitern hatte, aber die notwendige Praxis in Österreich nicht nachweisen kann. Der Befähigungsnachweis im reglementierten Gewerbe sollte sich aber stärker an den Qualifikationen orientieren. Deswegen sind wir dafür, dass die Gewerbeordnung deutlich entrümpelt wird, weil wir zum Teil einfach total überholte Regelungen haben. Wir glauben, dass man das alte Handwerk, das ohnehin schon fast ausgestorben ist - Schuhe reparieren, schneidern, tischlern -so wieder aufleben lassen kann. Es gibt einige Handwerker unter den Flüchtlingen, die dabei helfen könnten, Sachen, die sonst weggeworfen werden würden, zu reparieren. Ein Schneider, der Sachen repariert, ist sicher sehr gefragt. Das ist auch im Hinblick auf eine Reparaturgesellschaft spannend. Dinge zu reparieren schafft Beschäftigung, schafft Arbeitsplätze, ist ökologisch. Das geht nur, indem man Menschen die Möglichkeit gibt, den Gewerbeschein zu bekommen.

DIE FURCHE: Können Asylwerber auch selbstständig werden, bevor das Aslyverfahren abgeschlossen ist?

Köchl: Nach einer kurzen Wartefrist darf sich theoretisch jeder Asylwerber für ein Gewerbe anmelden. Nur funktioniert das in der Praxis nicht, weil ihnen die Grundversorgung gestrichen wird, wenn sie sich selbstständig machen. Das ist sehr riskant für jemanden, der gerade erst angekommen ist. In der Praxis hapert es daran, dass man keinen Gewerbeschein bei der Behörde bekommt und die Bewilligung nicht nachweisen kann. Im Durchschnitt warten die Menschen 15 Monate im Asylverfahren. Wenn man Asyl bekommt, hat man dann zumindest Zugang zum Arbeitsmarkt.

DIE FURCHE: Wie kann man den Menschen in Österreich generell den Einstieg ins Unternehmertum erleichtern?

Köchl: Das wichtigste Thema ist der Sozialversicherungsbeitrag. Das Medianeinkommen von Ein-Personen-Unternehmen liegt bei etwa 11.000 Euro im Jahr. Das ist Mindestsicherungsniveau. Und knapp 200 Euro Sozialversicherungsbeitrag sind schon ziemlich heftig. Auch die Pensionsabsicherung ist eine Katastrophe. Jeder dazuverdiente Euro wird in die Ausgleichszulage gekürzt. Der freiwillige Krankenversicherungsschutz ist verschlechtert worden. Man könnte die Gewerbeordnung entrümpeln und so den Zugang erleichtern - mit Maß und Ziel. Mit der neuen Gewerbeordnungsreform sollen alle teilregulierten Gewerbe freigegeben werden - aber nicht nach ganz nachvollziehbaren Kriterien. Dass jetzt die Fahrradtechniker komplett freigegeben werden, weil sie zufällig bei den teilregulierten Gewerben stehen, finde ich absurd, obwohl ich der Erste bin, der für eine Reform der Gewerbeordnung eintritt. Und weil der Reiseführer zufällig bei den regulierten

Gewerben steht, kann man weiter nicht so leicht Reiseführer werden. Das soll mir einmal jemand erklären. Manchmal passiert gar nichts und dann wieder zu viel. Es gehört rein nach sachlichen Kriterien entschieden, nicht danach, wer am lautesten schreit oder den besten Draht zur Wirtschaftskammer hat: Es geht um Sicherheitsaspekte, Umweltaspekte, Vermögensschutz.

DIE FURCHE: Ist die Regierung da zumindest auf dem richtigen Weg?

Köchl: Da nur die teilregulierten Gewerbe freigegeben werden sollen und diese nur ein Prozent der Gewerbescheine ausmachen, ist es fast absurd, von einer Gewerbeordnungsreform zu sprechen. Das ist ja nur Kosmetik. Zudem kann man jetzt Nebentätigkeiten in einem Bereich, in dem man nicht den Gewerbeschein hat, machen. Wenn der Installateur kommt, darf der mir vielleicht noch meinen Wasserhahn reparieren, aber das Waschbecken muss der Tischler reparieren. Nebentätigkeiten werden in Zukunft erlaubt. Das ist eine gute Grundidee. Zu den Start-Ups: Da wurden groß Lohnnebenkostensenkungen angekündigt. Bis Sommer 2017 sind da jetzt zweimal 500.000 Euro irgendwo im Budget versteckt. Aber das ist nur für die Bürokratie und vor 2018 wird ohnehin nichts ausgezahlt. Anders formuliert: Die Regierung braucht zwei Jahre für die Ankündigung bis zur ersten Zahlung - und im ersten Jahr wird gleich eine Million in die Bürokratie investiert.

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