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Gewöhnung dürfte dem Erleben von Geschichte so zusetzen wie die Inflation dem Geldwert. Ich habe auf der freien Landstraße eine Autofahrt unterbrochen und am Straßenrand die Tränen nicht unterdrücken können, als die Berliner Mauer fiel.

Keine 15 Jahre später ist das alles zur Selbstverständlichkeit geworden. Weniger noch: zu einem Bündel mühseliger Fragen und Probleme, wenn man einmal von den Annehmlichkeiten ungehinderten Reisens in den Osten und von den - fast schon beschwörend vorgetragenen - wirtschaftlichen Positiveffekten der "Wende" (und jetzt der EU-Erweiterung) absieht.

Sicher, die Zeit vergeht rasch. Und wer heute sein Studium abschließt, war zur Zeit der "Wende" gerade im mittleren Volksschulalter. Trotzdem: dass die Politik in Europa so gar nicht an den Schwung der "Wende" anschließen und größer denken konnte und kann, hat wohl nicht nur mit Vergesslichkeit oder damit zu tun, dass man sich über das Erbe des Kommunismus Illusionen hingegeben hatte.

Es fehlen einfach auch die Personifizierungen des größeren europäischen Horizontes, Staatsfrauen und -männer mit der anschlussfähigen Vision von der Zukunft dieses Kontinents, vom Dialog Europas mit der islamischen Welt und vom europäischen Beitrag zur globalen Entwicklung. Aber den Bevölkerungen Europas liegt das Hemd, sprich erfolgreiche Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung bzw. der Sieg im Wirtschaftsstandortwettkampf näher als der Rock. Eifrig dazu angeleitet von den Schlagzeilen und Schwerpunkten der Medienberichterstattung und noch eifriger darin bedient von einer Politik, die die schnellen Punkte sammeln will.

Wo werden wir mit Europa sein, wenn die jetzigen Volksschulkinder ins Studienabschlussalter kommen?

Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger in Wien.

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