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Biotope für geistliche Berufe

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In einer Zeit der Umweltzerstörung ist uns neu bewußt geworden, daß es ganz bestimmter Biotope - Orte des Lebens - bedarf, damit seltene Pflanzen und Tierarten existieren und sich entfalten können. Wo diese Biotope zerstört werden, sterben solche Pflanzen und Tiere aus.

Was sich in der Natur ereignet, kann ein Bild sein für Vorgänge in der Kirche. Seltene Arten, die in der Kirche in vielen westlichen Ländern besonders gefährdet sind, sind die geistlichen und kirchlichen Berufe, besonders jene, die mit der zölibatären Lebensform verbunden sind. Es sind dies Berufungen und Lebensformen, zu denen sich ein Christ - will er sie wählen - neu entscheiden muß; oft gegen die Trends, sowohl in der Kirche wie in der Welt.

Seminare erscheinen oft mangelhaft

Gott ist in seinen Berufungen zweifellos nicht an Biotope gebunden. „Gott kann aus den Steinen Söhne Abrahams erwecken" (Mt 3,9). Diese Macht Gottes zeigt sich in der Lebensgeschichte vieler Ordensgründer. Franz von Assisi, Ignatius von Loyola, Charles de Foucauld sind Beispiele für diese schöpferische Kraft Gottes. Aber im Normalfall scheint es doch anders zu sein. Es bedarf bestimmter Biotope, damit geistliche Berufe entstehen und sich entfalten können.

Biotope können völlig unterschiedlich sein. Ein Edelweiß braucht ein ganz anderes Biotop als eine Sumpfpflanze. Es gibt auch natürliche Biotope, zu denen der Mensch nicht viel beitragen muß; die er bloß nicht zerstören darf. Und es gibt künstliche Biotope, die einer ständigen Sorge bedürfen, damit die Lebensbedingungen für das Wachsen dieser seltenen Arten erlangt werden und erhalten bleiben.

Solche natürliche und künstliche Biotope für Geistliche Berufe hat es in der Geschichte der Kirche immer gegeben. Im letzten Jahrhundert gab es vor allem viele künstliche Biotope; die kleinen und großen „Seminare" — „Pflanzstätten" - für Geistliche Berufe. Schon im kindlichen Alter werden die „Keimlinge" Geistlicher Berufe in solche Seminare verpflanzt, damit sie in diesem Biotop gedeihen und heranwachsen konnten. Im Zusammenspiel mit christlichen Familien und einer mehr oder weniger geschlossenen christlichen Gesellschaft

haben sich diese Seminare bewährt.

In den sechziger Jahren sind besonders die kleinen Seminare in vielen Ländern in eine große Krise geraten; viele wurden aufgelöst oder in allgemein katholische Schulen verwandelt. Aber auch die großen Seminare, sowie die Noviziate und die Ausbildungsstätten der Ordensgemeinschaften scheinen oft nur mangelhaft jene Lebensbedingungen schaffen zu können, die für das Wachstum solcher Berufungen dienlich sind.

Zölibat: eine aussterbende Lebensform?

Die Anforderungen an solche Biotope für Geistliche Berufe sind auch viel größer als in der Natur. Geistliche Berufe sollen so kräftig und lebensfähig werden, daß sie auch außerhalb ihres Biotops leben und wirken können. Und weil dies schwierig ist, gibt es Austritte, Amtsniederlegungen und bedauerliche Verkümmerungen.

Kann es unter diesen Umständen überhaupt Biotope für Geistliche Berufe geben; speziell für solche, die auch mit einer zölibatären Lebensform verbunden sind? Oder ist diese seltene Art wegen Umweltzerstörung vom Aussterben bedroht; ähnlich vielen Pflanzen- und Tierarten?

Biotope sind komplexe Systeme, in

denen viele Faktoren zusammenwirken. Und gerade durch das Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Komponenten entsteht ein Biotop -ein Ort des Lebens.

Biotope für Geistliche Berufe können christliche Gemeinschaften sein, in denen es dieses Zusammenspiel von verschiedenen Elementen und Kräften gibt.

Papst Johannes Paul II. nennt in seinem Bundschreiben zum diesjährigen Weltgebetstag am 28. April vier Elemente, die beitragen können, daß Orte des Lebens für Geistliche Berufe entstehen können:

1. „So ist vor allem notwendig, daß die Gemeinde sich auf das Hören des Wortes Gottes einläßt, um jenes göttliche Licht zu empfangen, das dem Herzen des Menschen Orientierung schenkt...

Wenn die Bibel das Buch der Gemeinde wird, dann wird es leichter, die Stimme Gottes, die ruft, zu hören und sie aufzunehmen."

2. „Ferner ist notwendig, daß die Gemeinden inständig zu beten vermögen ... Das Gebet schließt wertvolle Energien auf, um die Einladung des Herrn zu unterstützen, sich ganz in den Dienst des geistlichen, moralischen und materiellen Wohls der Menschen zu stellen."

3. „Die Gemeinde muß des weite-

ren sensibel sein für die missionarische Dimension, indem sie sich das Heil derer angelegen sein läßt, die Christus, den Erlöser des Menschen, noch nicht kennen."

4. „Und schließlich muß die Gemeinde offen sein für den Dienst an den Armen. Der Lebensstil der Demut und der Selbstverleugnung, welcher einer Entscheidung für die Armen eigen ist, zeigt einerseits das wahrhaftigste Gesicht der christlichen Gemeinde, die sich in allen ihren Gliedern bemüht, die von Not und Leid geprüften Brüder und Schwestern aufzurichten, und trägt andererseits dazu bei, ein besonders günstiges Umfeld für die Annahme des Geschenkes der Berufung zu schaffen."

Diese vier Elemente - Sich-ein-las-sen auf das Wort Gottes, Beten, missionarische Sensibilität und Dienst an den Armen - sollen nicht bloß Programmpunkte von christlichen Gemeinden und Gemeinschaften sein, sondern - wie dies einem Biotop entspricht - Lebensvorgänge, ein dynamisches Geschehen, in dem das eine das andere fördert.

Saure Regen kann Biotope zerstören

Solche Gemeinschaften könnten auch heute Biotope für geistliche und kirchliche Berufe sein; auch für solche mit zölibatärer Lebensform, die am meisten in Frage gestellt sind.

Dabei müssen diese Gemeinden und Gemeinschaften gar nicht gleichförmig sein. Sie können so unterschiedlich sein wie ein Biotop für Edelweiß und ein Biotop für Sumpfpflanzen, aber sie sollen Biotope, das heißt Orte des Lebens sein.

Aber sind dies unsere christlichen Gemeinden und Gemeinschaften?

Der Mangel an geistlichen und kirchlichen Berufen ist eine Anfrage an alle christlichen Gemeinden, Organisationen, Bewegungen und auch Familien. Was hindert sie daran, Biotope - Orte des Lebens - für geistliche und kirchliche Berufe zu sein? Was könnte sie dahin führen?

Der Mangel dieser Berufe ist aber zugleich auch eine Anfrage an die Ordensgemeinschaften, Säkularinstitute und an die Gemeinschaften der Weltpriester und der kirchlichen Berufe. Sind sie wirklich Orte des Lebens für diese Berufungen, wo sie sich entfalten und wirken können.

Es gibt freilich auch Zeiten des Hochwassers, die alle Biotope hin-wegschwemmen, oder Zeiten der Dürre, die die Biotope austrocknen lassen. Auch der saure Begen kann Biotope zerstören. Wir erleben etwas von solchen Zeiten. Es gibt aber auch Aufbrüche, die uns hoffen lassen.

Der Autor ist

Bischofsvikar für die Orden in der Erzdiözese Wien und RedemptorisL

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