Blumen für den Terror-Scheich?

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Der Anfang Juli verstorbene libanesische Großayatollah Scheich Fadlallah wird zu Unrecht als Terror-Unterstützer gebrandmarkt, meint die „Süddeutsche“.

Nach dem Tod des libanesischen Großayatollahs Mohammed Hussein Fadlallah kanzelt der Westen alle ab, die ihn nicht dämonisieren wollen

Vorsicht – Bloggen und Twittern gefährdet Ihren Arbeitsplatz! Besonders wenn es um den Nahen Osten geht. Die Nahost-Redakteurin des US-Nachrichtensenders CNN hatte jüngst per Mobiltelefon ein Beileidstelegramm formuliert: „Ich trauere über den Tod von Mohammed Hussein Fadlallah. Er war einer der Giganten der Hisbollah. Ich respektierte ihn sehr“ (siehe Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli). Einen Tag später und nach zwanzig Jahren CNN-Mitarbeit war Octavia Nasr arbeitslos. Ähnlich erging es der britischen Botschafterin im Libanon. Sie hatte sich nach dem Tod des Anfang Juli verstorbenen Großayatollahs im Internet geäußert: „Die Welt braucht mehr Männer wie ihn“, schrieb Frances Guy. „Männer, die Mut haben, über die Grenzen ihres Glaubens hinauszusehen.“ Die Botschafterin hörte eine Rüge vom Londoner Dienstherrn. Und zog ihren Fadlallah-Blog zurück.

Waren Entlassung und Abmahnung berechtigt, die Kondolenz der zwei Frauen zu viel der Ehre für einen libanesischen „Terror-Scheich“? Oder sind der verlorene Job und der diplomatische Rüffel Folge eines gewollten Missverständnisses darüber, was in der Muslim-Welt geschieht?

Der missverstandene Geistliche

Für die Mehrheit der westlichen Medien lief Fadlallahs Ableben unter der Rubrik: „Der Terror-Scheich ist tot“. Aber Fadlallahs Verwicklung in die Geiselnahme von US-Bürgern im libanesischen Bürgerkrieg wurde nie belegt. Ebenso wenig, dass er der Spiritus Rector der libanesischen Untergrundorganisation Hisbollah war. Auch ein den sehr harten Fakten zugewandter Mann wie der frühere CIA-Agent Robert Baer sagt: „Fadlallah war nicht unser Freund. Aber das heißt doch nicht, dass er ein Terror-Pate war.“ Innerhalb der schiitischen Welt galt der Scheich als fortschrittlicher Denker. Er propagierte ein modernes Schiitentum, kritisierte die totalitären Konstruktionselemente der Islamischen Republik, die Khomeini zum Dogma gemacht hatte. Und er las Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah die Leviten.

Ein Gegner Israels

Während andere Großayatollahs den Frauen als angeblich nicht denkfähigen Lebewesen das Wahlrecht verweigerten, trat Fadlallah für sie ein: Er forderte volle politische Partizipation. Aus westlich-christlicher Sicht mag diese Islam-interne Debatte irrwitzig erscheinen. Geführt werden muss sie in der Muslim-Welt dennoch.

Fadlallah hat den Kampf der Hisbollah gegen Israel stets befürwortet – deren Terrorpate war er deshalb noch nicht. Es finden sich wenig pro-israelische Libanesen: Israel hat Kriege gegen das Nachbarland geführt, sich in den Bürgerkrieg eingemischt, Beirut bombardiert, das Grenzgebiet fast zwanzig Jahre besetzt. Warum sollten die Libanesen die Israelis lieben?

Da der Nationalgedanke in Europa entstanden ist und nicht in der arabischen Welt, mischt sich in die palästinensische Staatsidee ein kräftiger Schuss Islam. Der Ex-Militante Jassir Arafat, bei Gott kein Betbruder, wartete vergebens auf seinen Staat: Mit dem Friedensnobelpreis um den Hals wurde er abgelöst durch die bombenden Hamas-Frömmler. Apropos Terror: 1985 wurde in Beirut ein Anschlag auf Fadlallah verübt. 200 Kilo TNT explodierten, 80 Menschen starben, der Scheich überlebte. Hinter dem Attentat stand angeblich die CIA. Wobei die US-Regierung jede Verwicklung bestreitet. Was, wie im Falle der angeblichen Terrorpatenschaft von Fadlallah, nicht zweifelsfrei nachgeprüft werden kann.

* Aus: Süddeutsche Zeitung, 13. Juli 2010

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