"Christkind im Kaufrausch"

Werbung
Werbung
Werbung

Symbolträchtig auf der U3-Abwärtsrolltreppe erwischte mich die Titelschlagzeile der Zeitung eines Mitfahrers zwei Treppenstufen vor mir: "Christkind im Kaufrausch". Aber: wenn das alles, was da gekauft wird, "das Christkind bringt", dann muss es sich tatsächlich im Kaufrausch befinden. Und kurbelt, anstatt nur in der Krippe zu liegen, wenigstens produktiverweise das Weihnachtsgeschäft an: damit es uns allen gut geht, wenn's der Wirtschaft gut geht.

"Christkind im Kaufrausch". Die Schlagzeile lässt aber - grammatikalisch - auch einen anderen Gedanken zu. "Kaufrausch" nicht als Zustand des Christkinds. Nicht als Angabe dazu, wie es sich befindet, sondern wo. Eben mitten im Kaufrausch derer, die sein Geburtsfest feiern. Ob das Christkind es aber hinter den Geschenkebergen feiner hat als auf der Futterkrippe in der Hirtenhöhle, darf bezweifelt werden. Es bleibt auf Stroh gebettet.

Nicht nur im Sinn so mancher "Strohdummheit" einer Gesellschaft, die vor Dingen herumkriecht, um die sich nicht einmal Ochs und Esel bücken würden. Sondern auch, weil die Menschen unter uns, deren Situation der des Christkinds am ähnlichsten ist, weiterhin auf Stroh gebettet werden. Auf das Stroh der ergebnislosen Debatten um "strukturelle Lösungen", des parteipolitischen Hickhacks und Populismus, der Voyeurismus-Koalition zwischen den Machern und den Konsumenten der Massenmedien, der als "Zeitmangel" und "Sachzwänge" getarnten Abschirmung gegen die Herausforderung zur familiären, beruflichen, nachbarschaftlichen und globalen Mitmenschlichkeit.

Mitten im Geschenkeüberfluss liegt das Christkind weiterhin auf Stroh. Es heißt nur anders: "pflegebedürftig", "fremd", "hungernd", "Billiglohnlandbewohner/in", "unerwünschte Schwangerschaft". Zu unscheinbar und leise für Kaufrauschzeiten.

Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung