Das Christentum Wächst global

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Er ist der Doyen der Religionssoziologie. Mit 84 Jahren forscht der 1938 aus Wien emigrierte Peter L. Berger an der Boston University nach wie vor ungebrochen.

* Das Gespräch führte Gregor Thuswaldner

Er gehört zu den großen Soziologen und Religionssoziologen: Peter L. Berger, 1929 in Wien als Jude geboren, 1938 nach Palästina emigriert und 1946 als Protestant in den USA angekommen, wo er bis heute an der Boston University lehrt. Das hier abgedruckte Gespräch mit Berger über globale Entwicklungen des Christentums führte der am Gordon College in Boston lehrende Österreicher Gregor Thuswaldner.

Die Furche: Wie steht es um das Christentum in der nicht-westlichen Welt?

Peter L. Berger: Das Christentum explodiert geradezu in China in der Form des Evangelikalismus und wächst besonders in der Form der Pfingstbewegung in Schwarzafrika, Lateinamerika und in Teilen Asiens. Soviel wissen wir, nicht aber, was die genauen Zahlen anbelangt. Der Grund dafür ist einfach. Religiöse Statistiken sind normalerweise keine Statistiken von Regierungen. In der Bevölkerungszählung in den USA darf man nicht nach der Religion fragen, sodass man sich an religiöse Institutionen wenden muss. Es ist nicht so, dass diese mogeln, aber sie wissen nicht, wie viele Leute weggehen. Die Pfingstbewegung ist ein besonderes Problem, weil vieles davon örtlich begrenzt ist. Es gibt große pfingstlerische Konfessionen. Die "Assemblies of God!“ ist eine sehr große internationale Pfingstkirche. In Brasilien etwa gibt es die "Weltkirche des Königreich Gottes“, und sie schicken Missionare in die USA. Aber vieles, was passiert, passiert auf lokaler Ebene, in Garagen etwa. Man findet sie nicht im Telefonbuch. Wie soll man diese Leute zahlenmäßig erfassen?

Die Furche: Woher kommen die Einflüsse dieser christlichen Kirchen? Handelt es sich um Prediger, die von außerhalb kommen?

Berger: Es kommt darauf an. In den meisten Ländern - in Lateinamerika und in China etwa - kamen die Missionare anfangs aus dem Westen, besonders aus den USA. Aber nun ist alles viel komplizierter. Neben den USA kommen nun die meisten evangelikalen Missionare aus Südkorea. Diese fliegen nach China mit einem Touristenvisum und Koffern voller Bibeln. Manchmal werden sie hinausgeworfen, aber viel Schlimmeres passiert nicht mit ihnen. In Lateinamerika, das ich auf Grund meiner Studien am besten kenne, handelt es sich um einheimische Prediger. Die Kirchen dort schicken ihre eigenen Missionare in andere Länder.

Die Furche: Missionare kommen nun also aus dem globalen Süden.

Berger: Richtig. Vor über einem Jahr gab ich Vorlesungen in Dublin. Auf dem Weg zurück nach Boston habe ich die Irish Times gelesen. Darin war von einer pfingstlerischen Großveranstaltung die Rede, an der 10.000 Leute teilnahmen. Die Teilnehmer waren fast alle afrikanischer Abstammung, und der Prediger stammte aus Nigeria. Der Reporter hatte Bedenken, dass das die weißen Iren beeinflussen könnte. Der Prediger sagte in seiner Rede: "Wir sind sehr glücklich darüber, in Irland zu sein, es ist ein wunderbares Land, wir lieben Irland und wir laden alle Iren ein, zu unserer Kirche zu kommen. Die Hautfarbe spielt keine Rolle.“ Der Reporter berichtete, dass nur wenige weiße Iren am Gottesdienst teilnahmen, die meisten davon waren älter. Das könnte sich aber ändern, und der irische Katholizismus ist ja weniger attraktiv geworden aufgrund der Missbrauchsskandale und der Säkularisation. Für diese afrikanischen Prediger gibt es also einen potenziellen Markt. Wenn sie gebildeter werden, ist es durchaus möglich, dass sie sich an den irischen Kontext anpassen, und das könnte Auswirkungen haben.

Die Furche: Apropos Markt. Es scheint, dass es einen Markt für eine neue Theologie gibt, das so genannte Wohlstandsevangelium, das im globalen Süden Anklang findet. Wie sehen Sie dieses Phänomen?

Berger: Anders als die meisten Leute. Was sagt denn das Wohlstandsevangelium eigentlich aus? Es gibt zwei Arten des Wohlstandsevangeliums. Es gibt solche Vertreter, die sagen, wenn man in die Kirche geht, hart arbeitet, den Kindern eine Bildung zukommen lässt, wird Gott einen segnen. Das ist kein leeres Versprechen. Das sieht man besonders in Ländern, in denen die Pfingstbewegung Einzug gehalten hat. Wenn Leute der pfingstlerischen Ethik folgen, also hart arbeiten, das Geld nicht versaufen, keine außerehelichen Beziehungen haben, die Kinder in die Schule schicken, zu christlicher Zeit nach Hause kommen, mit ihrer Frau sprechen anstatt sie zu schlagen, wenn man also diese Dinge tut, wird man vielleicht nicht reich, aber es ist doch wahrscheinlich, dass man so Armut überwinden kann. Diese Art von Wohlstandsevangelium ist also wahr, empirisch korrekt. Dann gibt es auch eine andere Erscheinungsform, wenn korrupte Prediger auffordern, ihnen Geld zu geben und den Leuten einreden, dass Gott sie dadurch reicher machen wird. Man kann sein Leben so leben wie bisher, solange man der Kirche Geld gibt und zu Gott betet. Das wird einen reich machen. Ich würde sagen, dass das empirisch gesehen ein falsches Versprechen ist. Die Frage ist, wie hoch der Prozentsatz dieser zwei Gruppen ist. Wie ich im globalen Süden gesehen habe, ist die erste Gruppe höchst wichtig. Außerdem ist es die Gruppe, die einflussreich sein wird. Wenn man dieser Ethik folgt, wird es sichtbare Auswirkungen geben. Ich erwähnte Brasilien, wo es eine neue protestantische Mittelschicht gibt - hauptsächlich in Pfingstkirchen. Einige dieser Kirchen gleichen sich etablierteren protestantischen Kirchen an. Das ist ein neues Phänomen, das mit dieser Ethik zu tun hat. Max Weber hat vor über hundert Jahren darüber geschrieben, und ich denke, er hatte recht in Hinblick auf die Ursprünge des modernen Kapitalismus. Und man kann das in solchen Ländern wie Brasilien sehen.

Die Furche: Ted Malloch, der am "Center for Faith and Culture der Yale University“ forscht, behauptete kürzlich: "Das Christentum in Europa zu praktizieren hat einen ähnlichen Status wie Marihuana zu rauchen oder unorthodoxe sexuelle Praktiken anzuwenden.“ Stimmen Sie mit dieser Aussage überein?

Berger: Das ist eine ziemliche Übertreibung. Man könnte zwar sagen, dass einige religiöse Aspekte in Europa Ausdruck einer Gegenkultur sind, aber das ist in den letzten Jahren geringer geworden. Die religiöse Szene ist in Europa vielfältiger geworden. Der Soziologe Paul Zulehner nennt das "Verbuntung“. Religion ist in Österreich - und es scheint in ganz Europa - bunter geworden. Man ist also nicht nur Katholik, Protestant oder Agnostiker, es gibt nun viel mehr. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Vor ein paar Jahren war ich in der Nähe von Stuttgart. Und die Leute, die ich traf, sprachen über einen indischen Guru, den auch ich kannte. Ich sagte, dass ich diesen Guru für einen Betrüger halte. Neben mir saß ein junger Mann, der im stark schwäbisch gefärbten Dialekt sagte, dass er ein Jünger dieses Gurus sei. Ich denke, Europa ist viel bunter geworden, hauptsächlich durch Migration, aber auch durch Schwaben, die einem indischen Guru folgen.

Die Furche: Da wir bereits über andere Religionen reden, kommen wir doch auf den Islam zu sprechen. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen dem Islam und dem Westen?

Berger: Sämtliche Studien, die mir bekannt sind, die sich mit Islam in verschiedenen Teilen der Welt auseinandersetzen, machen deutlich, dass radikaler islamischer Terrorismus eine Minderheit von Muslime betrifft. Die meisten Muslime - auch diejenigen, die eine religiöse Erweckung erfahren - sind weder radikal, noch Terroristen. Sie haben im Islam Sinn für ihr Leben gefunden und eine Anleitung, wie man leben soll. Und das muss man ernst nehmen. Wenn Leute aber meinen, dass man Angst vor dem Islam haben soll, ist es nicht einfach, "Nein“ zu sagen. Es gibt Grund, Angst vor einer gewissen Erscheinung des Islam zu haben, die größer werden wird. Wie weit deren Wachstum gehen wird, hat weniger mit Religion als mit Wirtschaft und Politik zu tun.

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